Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
musste die Stimme heben. »Das bedeutet, dass dies wahrscheinlich sein erstes Mal war. Wenn er früher schon einmal gemordet hätte, dann hätte er kein Problem damit gehabt.«
Es wurde wieder still im Raum. Insch nickte anerkennend.
Logan ließ einen zweiten Stapel Kopien herumgehen. »Das hier ist die Aussage von Norman Chalmers. Wir haben ihn gestern Abend unter Mordverdacht festgenommen, nachdem Constable Watson ein Beweisstück gefunden hatte, das ihn mit dem Müllsack in Verbindung bringt, in dem die Leiche abgelegt wurde.«
Irgendjemand klopfte Constable Jackie Watson kräftig auf die Schulter. Sie lächelte.
»Allerdings«, fuhr Logan fort, »haben wir ein Problem. Die Spurensicherung hat keinerlei Anzeichen dafür entdecken können, dass das Mädchen je in Chalmers’ Wohnung war. Wenn er sie nicht dorthin verschleppt hat, wohin dann?
Ich will, dass ein Team Mr. Chalmers’ Lebensverhältnisse genauestens unter die Lupe nimmt. Hat er irgendwo eine Garage gemietet? Passt er für irgendwen auf dessen Wohnung auf? Hat er vielleicht ältere Verwandte, die kürzlich ins Heim gekommen sind und ihr Haus seiner Obhut überlassen haben? Hat er einen Arbeitsplatz, an dem er eine Leiche verstecken könnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?«
Kopfnicken allerseits.
»Nächstes Team: Gründliche Hausermittlung in Rosemount Place und Umgebung. Wer war sie? Wie ist Chalmers an sie rangekommen?« Einer der Anwesenden hob die Hand, und Logan zeigte in seine Richtung. »Ja?«
»Wie kommt’s, dass das Mädchen noch nicht als vermisst gemeldet wurde?«
Logan nickte. »Gute Frage. Ein vierjähriges Mädchen ist seit mindestens vierundzwanzig Stunden spurlos verschwunden, und niemand kommt auf die Idee, die Polizei anzurufen? Da stimmt etwas nicht. Das hier«, sagte er, während er einen dritten Stapel Kopien austeilte, »ist eine Liste vom Jugendamt mit allen in Aberdeen gemeldeten Familien, die ein Mädchen im Alter unseres Opfers haben. Team drei: Das ist Ihr Job. Ich will, dass jede einzelne Familie auf dieser Liste befragt wird. Achten Sie darauf, dass Sie das Kind auf jeden Fall zu Gesicht kriegen. Wir verlassen uns nie auf das, was uns irgendwer erzählt. Okay?«
Schweigen.
»Also gut. Jetzt zu den Teams.« Logan stellte drei Trupps zu je vier Mann zusammen und wies sie an, sich unverzüglich an die Arbeit zu machen. Die Übriggebliebenen reckten sich auf ihren Plätzen und begannen zu schwatzen, während die »Freiwilligen« hinausschlurften.
»Alle mal herhören«, sagte Insch, ohne die Stimme heben zu müssen; sobald er den Mund aufmachte, verstummte jedes Gespräch. »Wir haben eine Meldung vorliegen, wonach ein Kind, auf das Richard Erskines Beschreibung passt, beim Einsteigen in einen dunkelroten Pkw mit Heckklappe gesehen wurde. Andere Zeugen behaupten, einen Wagen wie diesen während der vergangenen Monate in der Nachbarschaft gesehen zu haben. Es ist denkbar, dass unser Täter die Gegend ausgekundschaftet hat.« Er hielt inne und sah sich im Raum um, wobei er darauf achtete, mit jedem Einzelnen Blickkontakt aufzunehmen. »Richard Erskine wird jetzt seit zweiundzwanzig Stunden vermisst. Selbst wenn ihn nicht irgendein perverses Schwein geschnappt hat, müssen wir bedenken, dass es letzte Nacht wie aus Kübeln geschüttet hat, und das bei Temperaturen nahe null Grad. Seine Chancen stehen nicht besonders gut. Das bedeutet, dass wir noch gründlicher und schneller suchen müssen. Wir werden die ganze verdammte Stadt auf den Kopf stellen, wenn es sein muss, aber wir werden ihn finden.«
Man konnte die Entschlossenheit im Raum förmlich riechen – wenn auch leicht überlagert von den Fahnen der verkaterten Polizisten.
Insch las die Namen der für die Suchtrupps eingeteilten Beamten vor und setzte sich dann wieder auf den Schreibtisch, während sie den Raum verließen. Logan, der noch auf seine Anweisungen wartete, sah, wie der Inspector Steve, den betrunkenen Nackttänzer, zu sich rief und ihn aufforderte, zu bleiben, bis alle anderen gegangen waren. Dann begann er auf ihn einzureden, aber so leise, dass Logan kein Wort verstand. Er konnte sich aber denken, worum es ging. Das Gesicht des jungen Constables lief zuerst rot an, um dann einen entsetzten Grauton anzunehmen.
»Gut«, sagte Insch schließlich und nickte dem sichtlich verstörten Constable mit seinem massigen, kahlen Schädel zu. »Warten Sie draußen auf dem Gang.«
Steve, der Stripper, trottete mit gesenktem Kopf hinaus wie ein geprügelter
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