Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Uhr. »Er, äh … er ist bei der Stadt beschäftigt.«
Logan wollte gerade zu einer sehr, sehr unflätigen Bemerkung ansetzen, ließ es dann aber sein.
»Was soll das heißen, er ist bei der Stadt beschäftigt?«, fragte er langsam und bestimmt. »Wenn er bei der Stadt arbeitet, wieso haben Sie ihm dann das Schreiben nicht heute Morgen in die Hand gedrückt, als er ins Büro kam?«
Der Mann studierte erneut sein Klemmbrett. Er war sehr darum bemüht, Logan nicht in die Augen sehen zu müssen. Und schwieg beharrlich.
»Herrgott noch mal!«, sagte Logan. Aber letztlich war es auch egal. Jetzt waren sie schon mal hier, und da konnten sie es auch gleich hinter sich bringen. »Und ist Mr. Philips im Moment an seinem Arbeitsplatz?«, fragte er, bemüht, ruhig zu klingen.
Der nervöse Mann schüttelte den Kopf. »Er hat heute seinen freien Tag.«
Logan versuchte, den pochenden Kopfschmerz hinter den Augen wegzumassieren. Nun ja, das war doch immerhin etwas. »Okay. Also, wenn er hier wohnt …«
»Das tut er!«
»Wenn er hier wohnt, dann jedenfalls nicht im Haupthaus.« Logan wandte dem dunklen, verwahrlosten Bau den Rücken zu. Die übrigen Gebäude des Gehöfts waren scheinbar zufällig im Umkreis verstreut. Jedes war an der Vorderseite mit einer Nummer versehen.
»Versuchen wir’s mal da drüben«, sagte er schließlich und deutete auf ein baufälliges Gemäuer mit der aufgemalten Nummer eins. Sie konnten ebenso gut hier anfangen wie irgendwo anders.
Vor dem Gebäude stieß ein zitternder, totenbleicher Constable Steve zu ihnen. Er sah noch schlimmer aus als bei der morgendlichen Einsatzbesprechung. Eines musste man DI Insch lassen: Wenn er jemanden bestrafte, dann gründlich.
Die Tür von Gebäude Nummer eins war mit billiger grüner Farbe gestrichen. Oder vielmehr beschmiert, ebenso wie die Wände links und rechts davon und das Gras unter ihren Füßen … Logan winkte den sichtlich mitgenommenen Constable heran, doch Steve starrte ihn nur mit stummem Entsetzen an. Hier war der Gestank noch zehnmal schlimmer.
»Öffnen Sie die Tür, Constable«, sagte Logan. Er war entschlossen, es nicht selbst zu machen. Nicht, wenn er ein armes Schwein dabeihatte, das ihm die Arbeit abnehmen konnte.
Es dauerte eine Weile, aber schließlich sagte Constable Steve: »Jawohl, Sir« und packte den Türgriff mit fester Hand. Es war eine schwere Schiebetür, und die Laufschiene war verbogen und mit Rostschuppen überzogen. Der Constable biss die Zähne zusammen und zog mit aller Kraft. Die Tür glitt quietschend auf, und von drinnen schlug ihnen der widerlichste Gestank entgegen, der Logan jemals in die Nase gestiegen war.
Alle drei taumelten zurück.
Eine kleine Lawine von toten Schmeißfliegen kullerte aus der offenen Tür heraus und blieb im Nieselregen liegen.
Constable Steve eilte davon, um sich noch einmal zu übergeben.
Das Gebäude hatte früher einmal als Kuhstall gedient: Es war lang und niedrig, ein Wirtschaftsgebäude im traditionellen Stil, mit unverputzten Granitmauern und Schieferdach. Durch die Mitte des Gebäudes verlief ein erhöhter Steg, zu beiden Seiten gesäumt von einem kniehohen Holzgeländer. Dieser Steg war der einzige freie Bereich im ganzen Gebäude. Der Rest war komplett mit den verwesenden Kadavern kleiner Tiere ausgefüllt.
Etwas Weißes bedeckte die steifen, verdrehten Körper. Ein krabbelndes, zappelndes, lebendiges Leichentuch.
Logan trat drei Schritte zurück und suchte sich rasch eine Ecke, wo er sich übergeben konnte. Es war wie ein neuerlicher Schlag in den Solarplexus; jedes krampfhafte Würgen schickte Wellen stechenden Schmerzes durch seine vernarbten Eingeweide.
Die Gebäude Nummer eins und zwei waren voll mit toten Tieren. In Nummer drei war noch ein bisschen Platz – auf einer Länge von drei oder vier Metern war der Betonboden nicht mit Kadavern bedeckt, dafür aber mit einem zähen gelben Schleim. Tote Fliegenleiber knirschten unter ihren Sohlen.
Irgendwann, als sie Gebäude zwei inspizierten, hatte Logan seine Meinung korrigiert: DI Insch war nicht jemand, der betrunkene Constables angemessen bestrafte. Er war ein unverbesserliches Arschloch.
Sie sahen in jedem Gebäude nach, und jedes Mal, wenn Constable Steve eine Tür aufzog, drehte sich Logan aufs Neue der Magen um. Nachdem sie eine gefühlte Woche mit Würgen und Kotzen und Fluchen zugebracht hatten, setzten sie sich draußen auf eine verfallene Mauer. Auf der Windseite.
Die Wirtschaftsgebäude waren voll
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