Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
plötzlich: »Sie war vierzehn.«
»Wie?« Watson beugte sich vor und blickte in Martin Strichens verquollene rote Augen.
»Das Mädchen. Wir war’n beide vierzehn. Sie wollte es, aber ich hab nicht gekonnt. Ich hab sie zu nichts gezwungen … Ich hab einfach nicht gekonnt.« Ein großer, tränenförmiger Tropfen hing zitternd an seiner Nasenspitze, und während sie hinsah, fiel er wie in Zeitlupe ab, glitzernd im Licht der Nachmittagssonne.
»Arme hoch.« Sie schnallte ihm den Gurt um den Leib, um zu verhindern, dass die Grampian Police sich mit einer Klage wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht herumschlagen musste, falls sie einen Unfall bauten. Als ihre Haare sein Gesicht streiften, hörte sie ihn flüstern: »Sie wollte einfach nicht aufhören zu lachen …«
Sie lieferten ihren Fahrgast im Gefängnis von Craiginches ab. Nachdem sie den ganzen Zirkus mit den Formalitäten der Übergabe in den Gewahrsam der Haftanstalt hinter sich gebracht hatten, waren sie endlich so weit, die Ermittlungen in DI Steels Fall aufnehmen zu können.
Zusammen mit Constable Watson machte Logan sich daran, die weniger ersprießlichen unter den Aberdeener Wett-Etablissements abzuklappern, um den Angestellten Geordie Stephensons Pornostar-Porträt zu zeigen. Doch überall ernteten sie damit nur verständnislose Blicke. Es hatte wenig Sinn, es bei den Großen zu versuchen, bei William Hill und Ladbrokes – denen war es kaum zuzutrauen, dass sie Geordie mit einer Machete die Kniescheiben absäbeln würden, nur weil er seine Schulden nicht beglichen hatte.
Aber das Turf ’n Track in Sandilands gehörte nicht unbedingt in diese Kategorie.
Der Laden war früher einmal eine Bäckerei gewesen, in den Sechzigern, als dies noch eine etwas bessere Gegend gewesen war – nicht so viel besser, gewiss, aber doch so, dass man sich nach Einbruch der Dunkelheit noch auf die Straße trauen konnte. Das Wettbüro war Teil einer Ladenzeile mit vier weiteren, nicht minder schäbigen und heruntergekommenen Geschäften. Alle waren mit Graffiti beschmiert, alle hatten schwere Eisengitter in den Fenstern, und alle waren schon mehr als einmal Opfer von Einbrüchen und bewaffneten Raubüberfällen geworden. Bis auf das Turf ’n Track, das seit Menschengedenken lediglich ein einziges Mal überfallen worden war. Und das lag daran, dass die McLeod-Brüder den Kerl, der mit einer abgesägten Schrotflinte in den Laden ihres Vaters gestürmt war, zur Strecke gebracht und ihn mit einem Gasfeuerzeug und einer Spitzzange zu Tode gefoltert hatten. Das erzählte man sich jedenfalls.
Die Ladenzeile war von Sozialwohnungen umgeben – drei- bis vierstöckigen Betonblocks, die irgendwann hastig hochgezogen und anschließend dem Verfall preisgegeben worden waren. Wenn man schnell eine Unterkunft brauchte, aber kein Geld hatte und auch nicht wählerisch war, landete man in einer Gegend wie dieser.
Ein Plakat vor dem Lebensmittelgeschäft nebenan verkündete: » Vermisst: Peter Lumley «, unter einem Farbfoto des lächelnden, sommersprossigen Gesichts des Fünfjährigen. Irgendein humorvoller Zeitgenosse hatte ihm eine Brille und einen Schnurrbart gemalt und dazugeschrieben: » Raz ist ein Arschficker. «
Vor dem Turf ’n Track waren keine öffentlichen Bekanntmachungen angebracht. Außer verdunkelten Fenstern und einem grüngelben Plastikschild hatte der Laden nichts zu bieten. Logan stieß die Tür auf und betrat den düsteren Innenraum, wo die Luft mit den Gerüchen nach Selbstgedrehten und nassem Hund gesättigt war. Drinnen war alles noch verwahrloster als draußen: schmierige Plastikstühle, die einmal orange gewesen waren, klebriges Linoleum mit Brandstellen von Zigarettenkippen und Löchern, die bis auf den Betonboden durchgingen; die Holzverkleidungen derart mit dem Qualm Tausender von Zigaretten imprägniert, dass sie mit einer klebrigen schwarzen Schicht bedeckt waren. Ein brusthoher Tresen zog sich quer durch den Raum und versperrte den Kunden den Weg zu den Wettscheinen, den Kassen und der Tür zum Hinterzimmer. In einer Ecke saß ein alter Mann, einen Schäferhund mit grauer Schnauze zu seinen Füßen, in der Hand eine Dose Exportbier. Seine Aufmerksamkeit wurde von einem Fernsehbildschirm in Anspruch genommen, auf dem man Hunde um einen Rundkurs wetzen sah. Logan war überrascht, hier einen Rentner zu sehen. Er hatte geglaubt, sie hätten alle zu viel Angst, um sich allein vor die Tür zu wagen. Und dann wandte der Mann den Blick vom Fernseher
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