Die dunklen Wasser von Arcachon
Esszimmer lag hinter dem Salon. Man musste an Moreaus Fernseher und Sessel vorbei zurück in den Flur und dann rechts in ein großes Zimmer gehen, in dem ein alter, schön gedeckter Tisch stand.
Die Tochter hatte einen vorzüglichen Salat aus jungen Spinatblättchen, Rote-Beete-Trieben und Rauke angerichtet, der mit einer cremigen Senf-Vinaigrette überzogen und mit knapp gar gekochten Langustinen garniert war.
Eine delikate Vorspeise, fand Kirchner.
Sie tranken dazu einen trockenen Weißen aus dem Bordelais, auch das Brot war gut.
Kirchner saß zwischen der Köchin und ihrem Vater, ihm gegenüber hatten Guillaume Dufaut und seine Schwester Evelyne, an den Tischenden rechts und links der junge Decayeux und seine dicke Frau Platz genommen.
»Was für einer Geschichte sind Sie denn hier nun auf der Spur, Antoine?«, fragte Decayeux, der wacher wirkte als sein stumpfer Freund Guillaume.
Kirchner nahm eine letzte Gabel Salat, wischte sich den Saft der Langustinen mit der Serviette von den Händen, trank noch einen Schluck und sagte: »Also, ich glaube, wir müssen uns hier alle nichts vormachen. Wie Sie wissen, war ich heute Vormittag schon hier bei Monsieur Moreau, und wir haben über vieles geredet. Ich möchte, dass meine Leser wissen, was in der Welt vor sich geht. Und wenn ein Minister tot aus dem Wasser gezogen wird, dann müssen meine Leser wissen, wie es dazu gekommen ist, und ich bin der, der es ihnen aufschreibt.«
Eine Pause entstand am Tisch. Die Runde ließ seine Worte sacken.
Kirchner fand, dass er diese Lücke weiter füllen musste, um den Leuten hier klarzumachen, dass er über vieles schon im Bilde war und das Gespräch nicht ganz von vorne beginnen müsste.
»Ich hab mir angesehen, was es mit dem Projekt Nautilus auf sich hat. Ich habe verstanden, dass es darüber große Unruhe gibt, überall, und dass der Streit darüber bis in die Familien hineingeht. Ich kenne auch die Welt der Politiker und ihrer Berater gut, und deshalb weiß ich, wie die sich so aufführen. Also im Grunde genommen geht es darum, dass ich Ihnen helfen kann, ganz egal, was so alles passiert sein mag, hier in den Dörfern oder draußen in der Nacht auf dem Meer.«
Kirchner konnte spüren, dass er den richtigen Ton getroffen hatte. Es wäre auch sinnlos gewesen, die Karten nicht auf den Tisch zu legen, sich dumm zu stellen und diesen Leuten am Tisch, die Augenzeugen oder sogar selbst Täter waren, die Einzelheiten nach und nach mühsam aus der Nase zu ziehen.
Sie konnten nun schweigen oder ihn hinauswerfen, wie es der alte Decayeux am Morgen getan hatte. Sie konnten aber auch sitzen bleiben und reden und ihm helfen, die Sache aufzuklären.
Moreaus Tochter Nadine war die Erste, die die Sprache wiederfand: »Ich hol dann mal das Kalb.«
Diese Ablenkung war Kirchner nicht sehr recht. Es wäre ihm lieber gewesen, an der Sache dranzubleiben, gleich jetzt und hier, aber es war nicht zu ändern. Immerhin hatten sie ihn nicht hinausgeworfen, das war ein gutes Zeichen. Nach dem Essen, beim Essen würden sie auf das Thema seines Besuchs wieder zurückkommen. Vielleicht sammelten sie nur ihre Gedanken, vielleicht wogen sie noch ab, was zu tun und zu sagen sei.
»Warte, Nadine, ich helfe dir«, sagte Guillaume Dufaut und stand auf.
»Ich kann auch etwas tragen«, sagte der junge Decayeux und ging mit hinaus.
Kirchner ließ sich, bis das Essen kam, von Moreau mit Anekdoten unterhalten. Der Alte war ein begabter Erzähler. Jetzt malte er riesige Fische vor die Augen seiner Zuhörer hin und entführte sie in den harten Winter von 1957/58, in sein raues, langes Arbeitsleben.
Evelyne folgte den Worten des Alten aufmerksam, obwohl sie seine Geschichten mit Sicherheit schon Dutzende Male gehört hatte. Mit halbem Ohr konnte Kirchner verfolgen, wie draußen in der Küche Nadine, ihr Mann und dessen bester Freund die Zeit nutzten, um zu tuscheln.
Sie machen einen Plan , dachte Kirchner, das ist gut .
»Wie ging es denn nun heute Mittag weiter?«, sagte er an Evelyne gewandt, nachdem Moreau seine Geschichte beendet hatte. Er versuchte, so leichthin wie möglich zu sprechen. Dabei wandte er sich deutlich vom alten Moreau ab, sodass dieser verstand, dass er nun eine Pause vom Erzählen machen solle.
Evelyne schien über Kirchners direkte Ansprache kurz zu erschrecken und errötete. Sie machte den Eindruck einer Frau, die gerade unsanft aufgewacht war.
»Ach«, sagte sie, »wie schon gesagt. Die Herren haben ein paar Fragen gestellt und
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