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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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hatten – dafür wurden extra ein Koch und seine halbe Brigade aus Paris eingeflogen –, klopfte es spät noch an der Tür, und vier oder fünf junge Frauen kamen johlend herein. Sie hatten nicht viel an, sie waren wie Tiere, hat Evelyne gesagt, und sie warfen sich gleich den Männern an den Hals und tatschten auch an den Frauen herum.«
    Nadine Dufaut suchte in Kirchners Gesicht die Empörung über die Ereignisse, und er hatte keine Mühe, sie zu zeigen.
    »Evelyne war entsetzt«, sagte Nadine. »Sie hat überhaupt nicht verstanden, was vorging. Sie zog Lacombe zur Seite, aber der hatte seine Hose schon aufgemacht, das Schwein. Sie schrie ihn an, was das alles solle, aber er lachte nur, machte seine Witze und sagte: ›Meine süße Kleine, wir beide haben schon so viel Spaß miteinander gehabt, jetzt werden wir noch ein wenig mehr Spaß haben, also, was soll’s?‹ Da wollte Evelyne natürlich sofort gehen, sie wollte nur noch raus da, aber Lacombe hielt sie zurück. Er sagte, sie solle sich nicht so anstellen. Er war mit einem Mal ganz anders, nicht mehr so nett, wie sie ihn kannte, gar nicht mehr witzig. Er sagte furchtbare Sachen, dass ihr Hintern so schön sei, dass er ihn unmöglich für sich alleine behalten könnte, und dass er mit seinen besten Freunden schon immer alles geteilt habe. ›Komm schon, Evelynchen‹, sagte er, ›zieh dein hübsches Kleidchen aus, und dann wollen wir mal sehen, auf welche Ideen uns diese Damen so bringen.‹«
    Nadine machte eine Pause. Sie nahm ihr Glas wieder, trank und fragte Guillaume müde, ob er noch eine Flasche holen könne, ihr sei nach Trinken zumute.
    Guillaume erhob sich wortlos, ging hinein und war kurz später mit neuen Getränken zurück. Er selbst schenkte sich Wasser ein, Decayeux nahm noch Wein, wie auch Kirchner.
    Seine drei Zeugen saßen auf der Terrasse, stumm gemacht vom Gang des Lebens, beeindruckt von seinen Dramen, von den Romanen, die direkt vor der Haustür spielten, aber auch schockiert darüber, dass sie selbst Teil der Handlung in einer Geschichte geworden waren, die normalerweise immer nur anderen Leuten zustieß und von der man in der Zeitung las oder die man im Fernsehen sah. Sie saßen da, die Augen auf die Tischmitte gerichtet, als läge dort der Abgrund, an dessen Rand ihr Leben geraten war.
    »Haben sie …«, sagte Kirchner, »ich meine, haben sie Evelyne zu etwas gezwungen?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte Nadine, »das hätte sie mir erzählt. Sie hat Guillaume gleich eine SMS geschickt, in dem Trubel, und er war ja dann in zwanzig Minuten oder so auch da.«
    Guillaume Dufaut hatte die ganze Zeit dagesessen und geschwiegen. Er wollte den Eindruck eines Menschen machen, den diese Geschichte nur am Rande anging. Er wollte nicht Teil dieser Handlung sein, er sträubte sich.
    Kirchner wandte sich ihm zu. »Wie geht die Geschichte weiter?«
    »Da gibt’s eigentlich nicht viel zu erzählen«, antwortete Guillaume.
    »Nun mach schon«, sagte Nadine.
    »Na ja, ich bin eben hingefahren und hab Evelyne abgeholt, so war das.«
    »Erzähl, Guillaume«, sagte Nadine, »es ist doch jetzt sowieso egal.«
    Moreaus Schwiegersohn nahm sich eine von seinen Zigaretten. Er rauchte Dunhill-Menthol , steckte sie an und paffte.
    »Ich weiß nicht, ob das hier alles so richtig ist«, sagte er plötzlich. Er entzog Kirchner das Vertrauen, das er die ganze Zeit über so selbstverständlich genossen hatte. »Ich meine, Nadine, bis hierher ging es nur um Julien. Aber jetzt geht es um uns.«
    Kirchner verstand, was er sagte, in gewisser Weise teilte er sogar seine Bedenken. Warum sollte er, warum sollten sie alle hier ausgerechnet ihm erzählen, was im Weiteren passiert war? An der Stelle, an der Nadine aufgehört hatte zu reden, war Lacombe noch am Leben, ein Schwein, aber am Leben. Von nun an ging es ans Eingemachte, an die eigene Geschichte, und sie hatte sehr wahrscheinlich mit dem Tod eines Menschen zu tun.
    Wenn ich an seiner Stelle wäre, dachte Kirchner, würde ich auch nichts sagen .
    Er sagte: »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich mir auch gut überlegen, was ich sage, und das meine ich wirklich so. Aber eins ist auch klar: Wenn ihr mir nicht erzählt, was passiert ist, dann werden die in Paris ihre Geschichte ganz allein erzählen, darauf könnt ihr wetten. Und die werden sich eure Version gar nicht erst anhören, die werden irgendeine Lügengeschichte basteln, und in der wird es den Abend in Le Canon gar nicht gegeben haben.«
    Guillaume

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