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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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sich dann höflich verabschiedet.«
    »Worum ging es denn?«, hakte Kirchner nach.
    Evelyne holte tief Luft, sah Kirchner einen Moment lang prüfend an und schlug danach die Augen nieder. Ihre Hände lagen jetzt auf dem Tisch, wie zu einem Gebet ineinandergefaltet. »Sie haben ja von meiner Verbindung zu Monsieur Lacombe schon gehört, soviel ich weiß«, sagte sie. »Darum ging es. Wann ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, solche Dinge, wie mein Verhältnis zu ihm war.«
    »Darf ich Ihnen diese Fragen noch einmal stellen?«, fragte Kirchner.
    Sie antwortete mit einem Lächeln.
    »Nein? Darf ich nicht?«
    »Doch, doch, Sie dürfen«, sagte Evelyne, selbstbewusster, als es Kirchner erwartet hätte, »aber die Antwort wird Sie enttäuschen: Ich hatte ihn seit Monaten nicht mehr gesehen, und mein Verhältnis zu ihm war … nun ja … ich würde sagen, es war zerstört.«
    Zerstört , dachte Kirchner, das ist ein starkes Wort.
    Als er eben wieder ansetzen wollte, um Evelyne weiter auszufragen, kam Nadine mit Guillaume und dem jungen Decayeux lärmend aus der Küche zurück. Er nickte Evelyne zum Zeichen zu, dass sie fürs Erste wohl nicht weiterreden konnten, und er bedauerte diese Zwangspause sehr.
    Immerhin zerging das Kalbfleisch im Mund, es hatte die Aromen des Schmorguts in sich aufgenommen, Zitronenschale und Petersilie gaben dem Braten Pfiff. Kirchner genoss das Essen. Das Kartoffelpüree war wirklich bemerkenswert, aber auch eine Kalorienbombe. Nadine Dufaut hatte reichlich gesalzene Butter unter die durchgepressten heißen Kartoffeln gehoben. Kirchner schätzte das Verhältnis von Kartoffeln zu Butter auf drei zu eins, aber sie verriet ihm, dass sie noch mehr Fett nahm, wenn Gäste da waren. Außerdem nahm sie, an Festtagen, die Butter von Bordier, gestampft in der Bretagne und gewürzt mit Meersalz oder Algen. Als Lokalpatriot zog er selbst zwar die Butter aus Isigny vor, die in einer Fabrik keine zehn Kilometer von seinem Zuhause gemacht wurde. Nadines generöses Kartoffelpüree hatte aber eine schöne nussige Note von der exquisiten bretonischen Butter, und er meinte, ein paar Wiesenkräuter durchzuschmecken.
    »Sensationell«, lobte Kirchner, dem auch die deutliche Spur Muskatnuss im Püree gefiel, »an Ihnen ist eine Köchin verloren gegangen, Nadine.«
    Die Gläser waren jetzt mit einem etwas dünnen Saumur-Champigny gefüllt, der den Kampf mit dem Kalb verlor. Als das Festmahl so gut wie aufgegessen war und Guillaume Dufaut als Einziger fast nichts zu sich genommen hatte, sagte der junge Decayeux an Kirchner gewandt: »Wir gehen jetzt mal auf die Terrasse.«
    Wie auf Kommando folgten auch Guillaume und Nadine, in ihrer Mitte Kirchner, der sich nach Evelyne umwandte, in der Hoffnung, dass auch sie folgen würde. Aber sie machte sich schon daran, das Geschirr abzuräumen, und er spürte, dass sie im Esszimmer bleiben würde. Mit den anderen durchquerte er den Salon, und bald standen sie gemeinsam draußen in einer sternklaren Nacht. Guillaume verteilte Zigaretten, und die Männer rauchten, Nadine hielt sich an ihrem Weinglas fest.
    »Es war ein Unfall«, sagte der junge Decayeux mit gepresster Stimme.
    Er hatte die Statur eines Boxerhundes und das Gesicht eines englischen Fußballers. Über dem Rundkragen seines T-Shirts lag eine goldene Gliederkette, seine Unterarme waren mit wirren Bildern tätowiert, er hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seinem Vater.
    »Was war ein Unfall?«, fragte Kirchner.
    »Das mit dem Minister, verdammt«, stieß Decayeux hervor.
    Guillaume, der ihm gegenüberstand, sagte: »Reg dich nicht auf, Deca, wir erzählen das jetzt ganz ruhig hier.«
    Was Kirchner im Folgenden hörte, entsprach nicht seiner Definition des Wortes Unfall . Am Anfang verstand er so gut wie gar nichts, nur Fetzen. Decayeux erzählte sprunghaft und zusammenhanglos, es ging um K.o.-Tropfen und Angst machen und nächtliche Kutterfahrten auf dem Meer.
    Kirchner sagte: »Jetzt mal langsam, der Reihe nach.«
    Nadine Dufaut übernahm nun das Reden. Sie erzählte, was Kirchner schon wusste: wie sich die jungen Fischer und die Nautilus -Leute angefreundet hatten, wie Minister Lacombe bald häufig in Arcachon gewesen und auch privat bei ihnen ein- und ausgegangen war.
    »Als es zwischen Lacombe und Evelyne losging«, erzählte Nadine Dufaut, »haben wir uns erst gar nichts gedacht. Mein Gott, wir haben gelacht darüber, über eine kurze Liebschaft, wissen Sie, wie das halt ist heutzutage, man geht ins Bett miteinander

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