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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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bei Einschnitt »nicht geknistert« habe, was als eindeutiges Zeichen dafür gewertet wurde, dass ein Tod durch Ertrinken auszuschließen sei.
    »Tod durch Ertrinken auszuschließen«, las Kirchner zwei Mal, drei Mal, vier Mal.
    Lacombe war schon tot, als er in jener Nacht da draußen im Meer gelandet war.
    »Tod durch Herzversagen«, las Kirchner an einer anderen Stelle. Er hielt es für das abschließende Gesamturteil der Ärzte, und Tod durch Herzversagen – das konnte viel heißen.
    Kirchner stellte sich ans Fenster seines Hotelzimmers und rauchte, nach vorne gebeugt, hinaus, weil er bei Ankunft ein Nichtraucher-Zimmer bestellt hatte. Nun musste er für jede Zigarette aus Furcht, womöglich die Sprinkleranlagen des Hotels auszulösen, ans Fenster treten.
    Das Becken von Arcachon lag leuchtend im frühen Abendlicht. Kirchner konnte die geputzte Promenade sehen, auf der Seniorengruppen spazieren gingen, dahinter rannten am weißen Strand die Jogger. Segelboote waren auf dem Wasser, im Seichten vorne spielten unerschrockene Kinder, denen die aufziehende Kühle des frühen Abends nichts auszumachen schien, in den Fluten. Ein Heißluftballon fuhr fern am Himmel und erinnerte Kirchner daran, dass er in seinem Leben schon viel erlebt hatte, aber noch nie in einem solchen Ballon gefahren war.
    Muss schön sein , dachte er.
    Das träge, heitere Leben des Seebads nach der Hauptsaison stand in seltsamem Widerspruch zur Lektüre des Obduktionsberichts, die Kirchner gerade beendet hatte.
    Was war Lacombe widerfahren? War die Geschichte über den Toten im Fischnetz nur erlogen, um einen Mord zu verschleiern? Ging es um Geld? Oder um Liebe? Ging es um Nautilus ? Oder um Austernzucht?
    Kirchner ließ die Fragen in sich arbeiten, er mühte sich nicht, schon Antworten zu finden. Wenn er eines gelernt hatte in seinem Reporterleben, dann, dass die Welt da draußen kompliziert war, dass ihre Geschicke einen immer überraschen konnten, dass nichts so sein musste, wie es auf den ersten, auf den zweiten und selbst auf den dritten Blick schien.
    Der Abend bei Moreau würde ihn weiterführen. Es ging darum, einen Schritt nach dem anderen zu gehen.
    Die schnellen Schlussfolgerungen waren nicht immer, aber sehr oft die falschen.

VII.
    K irchner kam gegen halb acht am Abend wieder bei Moreau an. Es parkten jetzt mehrere Autos vor der Tür, Hecklader, ein verkratzter Pick-up, dem man die Spuren starker Benutzung ansah.
    Aus dem Inneren des Hauses schien kaltes Licht wie aus nackten Glühbirnen.
    Kirchner klingelte, und eine schlanke, schnelle Frau, in deren Gesicht er die Züge des alten Moreau wiedererkannte, öffnete die Tür.
    »Bonsoir! Sie müssen Nadine sein«, sagte Kirchner.
    »Und Sie müssen der Reporter aus Paris sein. Bonsoir!«
    Sie gaben sich die Hand, Nadine machte ihm ebenso freundlich Platz, wie es ihr Vater am Morgen getan hatte; sie trat zur Seite und streckte die linke Hand einladend ins Innere des Hauses.
    Kirchner bedankte sich und trat ein.
    Der alte Moreau kam gleich mit einem Glas auf ihn zu, er wirkte auf Kirchner, als hätte er nach ihrer Verabschiedung am Vormittag weiter am Pastis genippt. Sein Gesicht war rot, und die Augen waren wässrig, er war deutlich angeheitert auf seine traurige Art, und er übernahm es, Kirchner die Abendgesellschaft vorzustellen.
    »Nadine haben Sie ja nun schon kennengelernt«, sagte Moreau geschäftig, »machen wir’s jetzt der Reihe nach.«
    Auf der Terrasse saß Evelyne Dufaut, deren Gesicht Kirchner auch schon kannte. Sie stand auf und drückte ihm artig die Hand, mit demselben schüchternen Ausdruck, den er schon mittags bei ihr gesehen hatte.
    Zu ihrer Linken saß ein Mann, den Kirchner nicht zuordnen konnte, den ihm Moreau nun aber zu seiner großen Überraschung als »den jungen Decayeux« vorstellte.
    Neben ihm saß eine weiche, dicke Frau, die den Mann an ihrer Seite um einen Kopf überragte und die »bessere Hälfte« des jungen Decayeux’ war.
    Rechts außen am Tisch saß Guillaume, Moreaus Schwiegersohn, den sich Kirchner anders ausgemalt hatte. Guillaume Dufaut war nicht, wie er vermutet hatte, die weitere Klischeefigur eines Fischers, sondern eher das Gegenteil. Großgewachsen und hager, wie er war, saß er schief auf seinem Gartenstuhl, in seinem knochigen Gesicht saßen tiefliegende, scheue Augen, und als er sich linkisch erhob, um dem Fremden die Hand zu geben, fiel Kirchner ein fast weibischer, flauer Händedruck auf.
    »Sind Sie Pastis oder Whisky?«, fragte der

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