Die Durchschnittsfalle (German Edition)
leistet, zielt darauf ab, um jeden Preis immer wieder Individualität entstehen zu lassen. Das ist es, was wir als Gesellschaft auch tun sollten. Unabhängig davon, ob wir glauben, das Richtige schon gefunden zu haben – denn ist es das Richtige für morgen?
Man muss an dieser Stelle auch sagen, dass sogar zur selben Zeit an einer Stelle des Planeten das eine und an einem anderen Ort das andere gebraucht werden kann (ich komme gleich im nächsten Kapitel bei der Sichelzellenanämie darauf zurück). Es muss uns klar sein, dass all jene, die heute glauben zu wissen, was wir nicht brauchen, was wertlos und nur Zeit- und Geldverschwendung ist, als einziges Argument eine zuverlässige Glaskugel haben müssten – die Umweltbedingungen von überall und von morgen kennen müssten. Natürlich ist es teuer, die Individualität um jeden Preis hoch zu halten. Natürlich ist es teuer, Varianten ohne sichtlichen Nutzen im Heute immer wieder entstehen zu lassen und vielleicht sogar zu hegen und zu pflegen. Aber viel teurer kann es uns zu stehen kommen, dem kurzfristigen Erfolg im Jetzt, dem Hochgefühl des sofortigen Profits zu erliegen und dadurch unsere ganze Zukunft aufs Spiel zu setzen.
Relativ plötzlich wurden um Manchester die Konsequenzen einer ungewissen Zukunft (der starken durch Industrialisierung hervorgerufenen Umweltverschmutzung) zur Gegenwart und stellten alles auf den Kopf. Ich bin mir sicher, dass die nun überlebensfähigeren dunklen Birkenspanner aber nicht zu den nun wenigeren hellen gesagt hätten: „Es war schon immer so und wir sind außerdem viel mehr als ihr!“ Warum nicht? Erstens, weil sie es ja anders kannten und aus den Fehlern der anderen lernen konnten. Schließlich waren sie ja schon einmal viel weniger mit auch viel niedrigeren Überlebenschancen. Und außerdem wären die dunklen Falter sicher klug genug zu wissen, dass man die Zukunft eben nicht voraussagen kann, dass sie immer anders kommt als man denkt und wer weiß … Mittlerweile ist die damals zur Gegenwart gewordene Zukunft (die starke durch Industrialisierung hervorgerufene Umweltverschmutzung) aber schon wieder Vergangenheit. Die Umweltverschmutzung wurde um Manchester massiv verringert und seit den 1960er-Jahren geht der Anteil der dunklen Birkenspanner bereits wieder erheblich zurück und die hellen nehmen wieder zu. Ich weiß, dass Sie wissen, dass die hellen Schmetterlinge den dunklen heute den Unsinn von „Es war schon immer so und wir sind außerdem mehr“ nicht mehr vorhalten wollen und werden.
Genetisch gibt es keinen Durchschnitt
Was Sie schon immer über Genetik wissen wollten
Ich habe es bisher schon mehrfach gesagt und werde es in Folge noch viel detaillierter argumentieren: Der Mensch mit all seinen Eigenschaften ist niemals auf seine Gene reduzierbar – er ist das Produkt der Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt. Um diese Wechselwirkung zu verstehen, müssen wir an dieser Stelle einen kurzen Exkurs in die Mysterien der Genetik unternehmen. Wir müssen durch das Verstehen der Bedeutung der Gene quasi die Basis dafür schaffen, die Bedeutung der Gene auch immer wieder infrage stellen zu können. Wenn wir uns noch einmal die Beispiele „Hydra“ und „Birkenspanner“ vor Augen führen, leuchtet es schon ein, dass wir das Thema Genetik jetzt einmal erörtern müssen. Die Hydra hat sich die Eigenschaft, ein paar Grad wärmer oder einen veränderten pH-Wert auszuhalten, nicht antrainiert, und der dunkle Birkenspanner hat sich seine Färbung nicht aufgemalt oder angezogen. Wie gesagt, sie hätten argumentieren können: „So etwas hat man, oder man hat es eben nicht.“ Nun gut, aber wo? Sie sehen schon, dass wir zumindest ein wenig mehr über Gene wissen müssen, um uns im Folgenden detailliert über Talente unterhalten zu können. Ich verspreche, ich halte mich kurz.
Der Mensch besitzt etwa 22.500 Gene. Als ich studierte, hatte er noch über 100.000 und vor noch wenigen Jahren hatte er etwa 30.000 bis 40.000 Gene. Nicht etwa weil wir in den wenigen Jahren so viele Gene weggeschmissen hätten. Die Lehrmeinung als Resultat der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse hat sich geändert. Es ist schon über zehn Jahre her, dass als Endergebnis vieler Jahre Forschung und Milliarden US-Dollars die erste fertig analysierte Sequenz des Erbguts (aller Gene) eines Menschen (Human Genome Project) präsentiert wurde. Die Zeiten ändern sich – und sie haben sich geändert. Heute stehen unserem Fach Technologien zur
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