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Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Titel: Die Durchschnittsfalle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Hengstschläger
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beobachten. Und, Sie werden es nicht glauben, 1895 waren um Manchester über 95 Prozent aller Birkenspanner dunkel gefärbt, und die hellen gesprenkelten bildeten eine kleine Minderheit! Warum? Weil eine Frage aus der Zukunft auf die Birkenspanner zugekommen war, mit der sie nicht rechneten, die niemand kannte und auch niemand vorhersehen konnte. Durch die dort in diesem Zeitraum immer stärker werdende Industrie nahm die Luftverschmutzung durch Fabrikschornsteine dramatisch zu. Die Birken wurden durch den sich anlagernden Ruß ganz dunkel gefärbt und auch die helleren Flechten auf den Baumstämmen starben ab. Jetzt hatte sich also durch eine für Birkenspanner in dieser Region mit Sicherheit nicht vorhersehbare Veränderung die Umwelt der Falter komplett auf den Kopf gestellt. Eine Frage aus der Zukunft, mit der (und das hat die Zukunft so an sich) die Birkenspanner nicht rechnen konnten, führte dazu, dass die dunklen Tiere, die bisher einen schweren Nachteil hatten, jetzt plötzlich auf den dunklen Bäumen getarnt waren. Aufgrund ihrer dunklen Färbung waren sie für ihre natürlichen Feinde, die Vögel, nunmehr auf den dunklen Bäumen nicht mehr zu sehen und bekamen als Folge davon einen Fortpflanzungsvorteil. Das reichte aus, um in so kurzer Zeit in einer Region, die stets von 99,99 Prozent heller Birkenspanner besiedelt war, weit überwiegend nur mehr dunkle Falter vorzufinden. Und den hell gemaserten Birkenspannern konnte man auf ihrem Flug zu den Bäumen nur mitgeben: So satt waren die Vögel noch selten.
    Aus wissenschaftlicher Sicht sind jene Mechanismen, die diesem Phänomen zugrunde liegen, noch nicht wirklich ganz geklärt. Es ist umstritten, wie direkt und nachvollziehbar es sich bei diesem Beispiel tatsächlich um das evolutive Prinzip „Mutation-Selektion“ handelt. Erst vor Kurzem haben allerdings Mathematiker beweisen können, dass selbst sehr kleine genetische Änderungen sich relativ rasch ausbreiten können, selbst wenn sie nur einen relativ geringen Anpassungsvorteil haben. Der Birkenspanner ist auf jeden Fall aktuell aus den Lehr- und Schulbüchern nicht wegzudenken und wird zur Untermauerung verschiedenster Argumentationen verwendet. Auch ich verwende dieses Beispiel immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen. Einmal dahingestellt, welche beweisbare Bedeutung dieser Schmetterling als Beispiel für Evolution wirklich hat, ich wollte hier damit nur sagen, dass Verschiedenartigkeit die Chance bietet, auf verschiedene Umweltbedingungen eine „Antwort“ zu haben.
    Überspitzt formuliert: Haben in der Zeit vor der Industrialisierung im Raum Manchester die Birkenspanner wissen können, dass solch eine Frage eventuell auf sie zukommen könnte? Sind deshalb auch immer, wenn auch sehr wenige, dunkle Falter entstanden, weil die Birkenspanner ja wussten, die Rinden könnten sich einmal schwarz färben? Wozu hat man die dunklen davor gebraucht? Warum haben sie existiert, wenn sie doch solch schwere Nachteile hatten? Ob man etwas „braucht“ oder nicht, entscheidet die Umwelt. Ob besondere Eigenschaften von Vor- oder von Nachteil sind, entscheidet die Zukunft. Welche Eigenschaften, Talente in der Zukunft gebraucht werden, kann heute niemand sagen. Wer heute glaubt, einen erstrebenswerten Durchschnitt, ob in der Bildung, der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Politik, definieren zu können und zu müssen, damit letztendlich so viele wie irgend möglich das Ziel erreichen und sich dadurch um den gemeinsamen Nenner gruppieren, muss sich schon heute vor der Zukunft fürchten. Umso mehr Gleiche wir haben, umso weniger Variantenreichtum, Streuung und Individualität herrscht.
    Die Evolution leistet sich Individualität, auch wenn vielleicht wirklich zum aktuellen Zeitpunkt nicht ganz klar ist, in welchem Ausmaß bestimmte individuelle Varianten und Ansätze gebraucht werden könnten. Natürlich geht die Biologie im Sinne des Prinzips „Survival of the fittest“ rücksichtslos mit jenen Varianten um, die keine Vorteile, ja sogar Nachteile haben. Die Evolution selektioniert gegen solche Varianten. Die Individualität, von der ich rede, ist jene, die die Evolution bei jeder sexuellen Fortpflanzung neu entstehen lässt, um sie dann auf ihre „Fittness“ zu überprüfen. Sie leistet sich ständig nachteilige Varianten. Sie glaubt nicht, das Richtige schon gefunden zu haben, weil sie „weiß“, dass die Zukunft anders sein kann und wird als die Gegenwart. Die Individualität, die sich die Evolution

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