Die Durchschnittsfalle (German Edition)
verstehen ist, wenn immer wieder gefordert wird, dass Lehrer Talente entdecken müssen (talentiert wird man nicht durch seine Lehrer?!). Wenn man hierbei Leistungsvoraussetzungen meint, frage ich mich, welche Instrumente Lehrern zur Verfügung stehen, solche zu entdecken. Wenn man aber das Produkt als die besondere Leistung meint, dann kann es der Schüler doch schon. Ich formuliere hier bewusst überspitzt, um noch einmal zum Ausdruck zu bringen, welche Schwierigkeiten durch die fehlenden Definitionen entstehen.
Die „genetische“ Ausrede
So etwas hat man, oder man hat es eben nicht! Wenn aber die Frage nach den genetischen Komponenten bei Begabungen, wie gerade beschrieben, doch eigentlich komplizierter ist, wieso ist dann aber die Idee von unausweichlich vorhandenen (oder eben abwesenden) Anlagen für bestimmte Spitzenleistungen in den Köpfen der Menschen so sehr verankert? Ich versuche in Folge ein paar Gründe anzuführen, die diese Meinung gebildet haben könnten, um am Ende des Kapitels dann aber doch auch zu sagen, dass ich so meine Schwierigkeiten mit der Idee habe, „Üben, üben, üben“ sei die ganze Wahrheit.
Ein erster möglicher Grund wäre, dass es eigentlich keine angenehmere Ausrede für das Nicht-Erbringen bestimmter Leistungen gibt. „Du weiß ja, so etwas hat man einfach, oder eben nicht, und ich hab’ es nicht!“ – und schon scheint man sich davon befreit zu haben, jetzt die größten Anstrengungen in die Perfektionierung zu legen. Es ist ja ohnedies aussichtslos. Zurzeit hat sich so etwas wie eine „genetische“ Ausrede bei vielen Menschen manifestiert und keiner traut sich so richtig, dagegenzusprechen. Auch deshalb nicht, weil man diese kleine, aber entscheidende Ausrede ja in so bequemer Weise selbst gerne hin und wieder zur Anwendung bringt.
Ich sitze eines lauen Sommerabends beim Heurigen, als sich plötzlich ein sehr übergewichtiger Mann zu mir an den Tisch setzt: „Du, ich habe Dich gestern im Fernsehen gesehen. Gar nicht dumm, was Du so sagst – wir müssen reden.“ Und schon erzählt mir mein neuer Tischgast, dass ihm nun klar geworden sei, dass das Übergewicht in seiner Familie genetisch sei. Von mir gefragt, wie er denn darauf gekommen sei, antwortete er: „Ist doch klar – ich bin übergewichtig und meine Frau auch!“ Als er gerade vollkommen entsetzt die Nase über meine Gegenbemerkung, dass das nur gelten würde, wenn er mit seiner Frau verwandt wäre, rümpfte, kamen seine beiden wirklich auch sehr übergewichtigen Söhne zu uns an den Tisch. Nachdem sie ihre von Wiener Schnitzel schweren Teller auf den Tisch stellten, sagte er etwas forsch: „Na, Herr Genetiker, jetzt sagst Du aber nichts mehr!“ Auch Genetiker wollen hin und wieder einfach einen ruhigen Abend beim Heurigen verbringen und so antwortete ich: „Ich sehe jetzt, was Sie meinen. Ja leider – so etwas hat man, oder eben nicht!“ Mit diesem Befund sichtlich zufrieden, machten sich die drei direkt auf den Weg zur Vitrine mit den Nachspeisen. Nicht, dass ich die „genetische“ Ausrede nicht auch immer wieder einmal versucht habe. Nur leider war etwa meine Großmutter von Genetik nicht sonderlich überzeugt und antwortete stets auf meinen Versuch, die Ausrede „Ich kann so etwas einfach nicht“ geltend zu machen: „Na, dann musst Du es halt üben!“
Ein schwimmendes Huhn?
Natürlich gibt es auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Beobachtungen, etwa aus der Verhaltensforschung, die für angeborene genetische Komponenten bei bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen sprechen. Der Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz und sein Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt haben sich intensiv mit den genetischen Komponenten des sogenannten „angeborenen Könnens“ beschäftigt (wir könnten im Sinne unserer hier geführten Diskussion von „angeborenen“ Begabungen beziehungsweise Talenten sprechen). Sie zeigten in Experimenten, bei denen Enten von Hühnerglucken ausgebrütet wurden, dass sich ein frisch geschlüpftes Entlein ihr Verhalten und das Schwimmen nicht von der Mutter abschauen muss. Entgegen den Bemühungen des „Mutterhuhns“, das geschlüpfte Entlein vom Wasser wegzulocken, strebt das Entlein dem Wasser zu und schwimmt. Und es würde ihm nie einfallen, dem Vorbild der nicht biologischen Mutter folgend, nach Körnern zu picken. Das Entlein kann schwimmen – das braucht ihm niemand zu zeigen. Immer wieder hört man in diesem Zusammenhang auch das sicherlich
Weitere Kostenlose Bücher