Die Durchschnittsfalle (German Edition)
sind.“
Es wurden unzählige wissenschaftliche Studien dazu durchgeführt. Es wurden unglaublich viele Bücher darüber geschrieben. Und es wurden noch mehr Interviews dazu gegeben. Aber der Schluss der Wissenschaft ist klar: Der Mensch ist stets das Produkt der Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt. Für die Diskussion, die wir in diesem Buch führen, bleibt zu sagen: Einmal spielen Gene eine geringe Rolle und ein anderes Mal entscheiden sie aber mit – je nachdem, ob es sich etwa um sportliche beziehungsweise handwerkliche, künstlerisch-musische, wissenschaftliche oder Management-Leistungen handelt. Selbst das Glücklichsein folgt diesem Konzept. Ich werde in den folgenden Kapiteln zu jedem dieser Aspekte noch mehr sagen. An dieser Stelle also noch einmal zusammengefasst:
Es ist mir unverständlich, warum es immer noch (einzelne) Menschen gibt, die denken, allein unsere Gene bestimmten unser Leben, genauso wie ich es nicht verstehen kann, warum so manche immer noch die Meinung vertreten, die Umwelt entscheidet unser Schicksal ganz allein.
Üben, üben üben?
Wohingegen man sehr wenig bis gar nichts mehr davon hört, dass jemand wirklich ernsthaft den reinen Gen-Determinismus vertritt, ist gerade in den letzten Jahren eine Vielzahl von Büchern erschienen (ich habe ein paar davon im Literaturverzeichnis angeführt), die die Meinung propagieren, biologische genetische Komponenten von Begabungen existieren so gut wie gar nicht (oder schon, sind aber nicht von Bedeutung – das bleibt eigentlich unklar), alles ist nur „Üben, üben, üben“. Man muss natürlich sofort die von uns bereits geführte Diskussion bezüglich der nicht immer klaren Verwendung der Begriffe Talent oder Begabung in Erinnerung rufen. In vielen dieser Bücher wird leider nicht deutlich, ob der Autor im Zusammenhang mit Talenten nun von besonderen Leistungsvoraussetzungen spricht oder ob es um das Produkt, also den erzielten Erfolg geht. Ich habe einige dieser Bücher gelesen. Sehr oft war klar von Letzterem die Rede.
Ausgelöst wurden viele dieser Bücher, so meine ich, durch die Forschungsergebnisse von Anders Ericsson, der beginnend in den 1990er-Jahren empirisch seriös zeigen konnte, dass hervorragende Leistungen (im Sinne von Erfolg) des Menschen ohne langjähriges Lernen und Üben unmöglich sind. So unbestritten korrekt das ist, so sehr muss die Frage erlaubt sein, inwieweit daraus der sehr oft über das Ziel hinausschießende Schluss gezogen werden darf, dass Gene überhaupt keine Rolle spielen. Verschiedene Autoren zitieren etwa als Beleg für die so große Bedeutung der Umwelt Studien, die zeigen, dass in Kanada jene Eishockey-Spieler die besten wurden, die im Januar geboren wurden, weil der Stichtag zur Zulassung für eine Altersgruppe im Eishockey der 1. Januar ist. Ein Junge, der etwa am 2. Januar zehn Jahre alt wird, spielt also mit anderen in dieser Altersgruppe, die vielleicht erst etwa ein Jahr später zehn Jahre alt werden, was ihm einen enormen körperlichen Vorteil bringt. Es wird da von der 10.000-Stunden-Regel gesprochen und der Schluss gezogen, dass jeder Mensch, der zu den Besten gehört, einfach nur mehr geübt hat als die anderen. Würde man also jeden Tag etwa drei Stunden an der Perfektionierung einer Sache arbeiten (üben), so müsste man also 3333 Tage, oder über 9 Jahre, jeden Tag (!) üben. Und da man nicht jeden Tag üben kann (soll) …
Es wird weiters sogar davon erzählt, dass die unglaublichen Errungenschaften der Beatles der Tatsache zuzuschreiben sind, dass sie aufgrund glücklicher Umstände mehr Gelegenheiten für Auftritte hatten als andere Bands ihrer Zeit. (Letzteres Beispiel ist für mich deshalb so verblüffend, weil ich nicht verstehen will, wie durch wiederholtes Spielen bei Auftritten eine schlechte Musiknummer zu einer guten werden kann?) Bevor ich in den folgenden Kapiteln meine Ansichten zu den verschiedenen Begabungsbereichen darlege, möchte ich an dieser Stelle verallgemeinernd und daher auch etwas ungenau zu all diesen Büchern sagen:
1.) All diese lesenswerten Bücher, die die große Bedeutung der Umwelt, der glücklichen Umstände, des Übens etc. für die Erbringung besonderer Leistungen herausheben, haben recht. Der Mensch mit all seinen besonderen Eigenschaften und Leistungen ist niemals und bei nichts auf seine Gene reduzierbar. Jede besondere Leistungsvoraussetzung wird erst durch die harte Arbeit, sie zu entdecken und umzusetzen, zu einer besonderen Leistung.
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