Die Durchschnittsfalle (German Edition)
man dieses Zitat an dieser Stelle jetzt etwas anpassen: „Die Gene sind Feder und Papier, die Geschichte schreiben wir selbst, und die Tinte ist die Epigenetik.“
„In der Debatte, ob Gene oder Umwelt unseren Phänotyp prägen, schwingt das Pendel hin und her, und nach einem extremen Ausschlag in Richtung Genom, von dem es gar nicht wieder zurückzukehren schien, wagt es nun einen weiten Vorstoß zur anderen Seite. Statt jedoch wie gebannt auf die Bewegung des Pendels zu starren, die nicht nur von gesichertem Wissen, sondern auch von gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Moden beeinflusst wird, sollten wir uns endlich zu der Erkenntnis durchringen, dass der von uns aufgebaute Gegensatz zwischen nature und nurture ein durch und durch künstlicher ist. Genome sind ohne eine Umwelt, in der sie sich zu bestimmten Phänotypen ausprägen und beweisen müssen, schlicht undenkbar“ , fasst der Wissenschaftspublizist Bernhard Kegel die Ansicht verschiedener Autoren in den Schlussbemerkungen seines Buches „Epigenetik“ zusammen.
Gestresste Gene?
Stress macht krank! Das ist wohl vollkommen unbestritten. Was vielleicht aber so mancher nicht wusste, ist, dass psychische Belastung ganz allgemein starken Einfluss auf die epigenetisch gesteuerte Verwendung unserer Gene nimmt. Dies führt unmittelbar zu einem zeitlebens erhöhten Risiko für das Auftreten einer Reihe stressbedingter Erkrankungen. Dieses faszinierende, noch relativ neue, aber schon sehr gut belegte Forschungsgebiet muss bei unserer Diskussion „Talente und Erfolg“ unbedingt Platz bekommen. Ich erkläre gleich, warum. Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, greife ich exemplarisch zwei ganz aktuelle Wissenschaftsergebnisse heraus. Ein Forscherteam von der University of Wisconsin hat gerade epigenetische Musteranalysen von mehr als hundert Teenagern, die von ihren Eltern während der frühen Kindheit aus verschiedenen Gründen vernachlässigt werden mussten, veröffentlicht. An über hundert verschiedenen Stellen des Genoms solcher Kinder wurden charakteristische epigenetische Veränderungen nachgewiesen (Essex et al., Child Development 2011). Weiters haben Kollegen von der Universität Konstanz soeben gezeigt, dass Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft misshandelt wurden, ein verändertes epigenetisches Muster an der DNA des Gens des Glucocorticoid-Rezeptors aufweisen, was zu überempfindlichen Stressreaktionen führen kann (Radtke et al., Translational Psychiatry 2011).
So faszinierend diese Beispiele sind, so habe ich sie doch eigentlich aus einem anderen Grund an dieser Stelle erwähnt. Wir haben uns bereits darauf geeinigt, dass „Üben, üben, üben“ unverzichtbar für die Umsetzung von besonderen individuellen Leistungsvoraussetzungen in Erfolg ist. Einerseits müssen dafür individuelle Leistungsvoraussetzungen erst einmal entdeckt werden. Und andererseits ist nun auch klar, dass negativer Stress, ausgelöst etwa durch den Druck überehrgeiziger Eltern oder Trainer, theoretisch auch zu epigenetischer „Falschverwendung“ des vorhandenen genetischen Repertoires führen kann. Viele aktuelle Forschungsergebnisse in der Epigenetik betonen doch eigentlich, dass die Umsetzung besonderer Leistungsvoraussetzungen in Erfolg nicht extrinsisch erzwungen werden kann. Es muss das intrinsische Interesse von Kindern, ihre Talente in Erfolg umzusetzen, in einem psychisch positiv belegten Umfeld unter für das Kind erfreulichen Bedingungen (Spaß an der Umsetzung, Neugier wecken, Schmerzfreiheit etc.) entfacht werden. Sonst macht all das „Üben, üben, üben“ nur krank und unterdrückt etwaige biologische Leistungsvoraussetzungen unter Umständen mehr, als es sie ans Tageslicht bringt.
„Vererbung von Erfahrenem“ – erster Teil
Der bereits erwähnte Charles Darwin postulierte ein Evolutionskonzept, das auf Aspekten wie Mutation und Selektion beruht. Ganz grob gesprochen ist damit gemeint, dass die von uns schon oft angesprochene im Zuge (sexueller) Fortpflanzung durch Mutation entstehende Individualität über Selektion darauf überprüft wird, inwieweit sie von Vor- oder Nachteil ist. Gewisse Zeit herrschte aber eine andere Theorie für das Prinzip der Evolution vor: die Vererbbarkeit im Lauf des Lebens erworbener Eigenschaften auf die nächste Generation. Hierbei war (oder ist) gemeint, dass etwa Tiere Eigenschaften, die sie im Laufe des Lebens erworben (erlernt) haben, an ihre Nachkommen weitergeben können. Es muss an
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