Die Durchschnittsfalle (German Edition)
dieser Stelle gesagt werden, dass dieses von dem französischen Botaniker und Zoologen Jean-Baptiste de Lamarck begründete Konzept auch von vielen seiner Zeitgenossen, bis hin zu Darwin, ernsthaft ins Kalkül gezogen wurde. Die Idee von der Vererbung erworbener Eigenschaften an die nächste Generation war damals weit verbreitet. Erst später wurde die Richtigkeit und Bedeutung der Darwinschen Evolutionstheorie klar.
Die oben angesprochenen neuen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Epigenetik könnten auch so interpretiert werden, dass Lamarck zumindest nicht vollkommen und immer falsch lag. So weiß man etwa schon aus Studien an Mäusen, dass bestimmte stressbedingte epigenetische Veränderungen auch an die nächste Generation weitergegeben werden können. Wenn der epigenetische Code im Laufe eines Lebens durch Umwelteinflüsse und Lebensweise beeinflussbar ist und gleichzeitig auch zumindest Teile der chemischen Modifikationen der DNA an die nächste Generation vererbbar sind, dann könnte man unter bestimmten Umständen gewissermaßen von Vererbung erworbener Eigenschaften sprechen. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist und bleibt allerdings die von Darwin postulierte Theorie auf der Basis von Mutation und Selektion die vorherrschend korrekte. Bisher gibt es nur ausgesprochen wenige Belege, dass erworbene (erlernte) Fähigkeiten von einer Generation auf die nächste anhand von epigenetischen DNA-Mustern über Samen- oder Eizellen weitergegeben werden können. Das reicht eigentlich noch nicht wirklich aus, um die Wiedergeburt des Lamarckismus zu feiern, ist aber trotzdem äußerst spannend. Sehr oft werden in diesem Zusammenhang bestimmte überraschende wissenschaftliche Beobachtungen, die Ende der 1990er-Jahre veröffentlicht wurden, zitiert, aber auch kontrovers diskutiert. Sozialmediziner haben in detaillierten Studien an Menschen aus Överkalix, einer kleinen Gemeinde in der schwedischen Provinz Norrbotten, statistische Beweise dafür beschrieben, dass etwa ein Nahrungsüberfluss des Großvaters das Leben seiner Enkel um viele kostbare Jahre verkürzt. Dagegen erhöhte sich die Lebenserwartung der Enkel in etwa demselben Maß, wenn der Großvater Not leiden musste.
Es ist bestimmt noch zu früh, um in diesem Zusammenhang ein klares Bild zeichnen zu können, vor allem weil die wissenschaftlichen Belege noch bei Weitem nicht ausreichen. Wir haben aber gesagt, wir wollen in diesem Buch über die Zukunft nachdenken. Wenn auch vielleicht nur in einem ganz geringen Ausmaß, wenn auch vielleicht nur bei ganz bestimmten Aspekten, so ist es doch verlockend, zumindest anzudenken, dass Eltern auch dadurch zur Umsetzung besonderer Leistungsvoraussetzungen ihrer Kinder in einen bestimmten Erfolg beitragen könnten, indem sich im Laufe ihres Lebens (vor der Fortpflanzung) erworbene Eigenschaften epigenetisch in ihrer DNA festschreiben und sich dann über Samen- und Eizellen vererben. Wie gesagt, der Mensch ist bei all diesen Dingen nicht auf seine Gene reduzierbar, auch nicht auf seine Epigenetik. Wie gesagt, entsprechend wissenschaftliche Belege im eigentlichen Sinn fehlen noch. Und wer weiß, ob sie jemals kommen?
„Vererbung von Erfahrenem“ – zweiter Teil
Außerdem würde für diese epigenetisch mitregulierte Vererbung von Erfahrenem, Erworbenem, Erlerntem auf die nächste Generation (so sie jemals in diesem Ausmaß gefunden würde) gelten, dass nur jene Erfahrungen „vererbt“ werden könnten, die sich die Eltern vor ihrer Fortpflanzung angeeignet haben. Gene und daher auch ihr eventuelles epigenetisches Muster werden nur in einem „Akt“ an die nächste Generation weitergegeben im Zuge der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Für die Vererbung von Genen und Epigenetik von einer Generation auf die nächste ist danach Schluss. Dies gilt aber nicht für die dritte Art der „Vererbung“, die wir auch bereits in diesem Buch besprochen haben. Mit dem unten angeführten Zitat möchte ich Sie an dieser Stelle an das Mem, die Einheit kultureller Vererbung, erinnern.
Susan Blackmore fasst in ihrem bemerkenswerten Werk „Die Macht der Meme“ die Bedeutung der Einheit „Mem“ wie folgt zusammen: „Wir Menschen sind erstaunliche Wesen. Unsere Körper sind in der Evolution – genau wie die aller Tiere – durch natürliche Selektion entstanden, und doch unterscheiden wir uns von sämtlichen anderen Geschöpfen in vielfältiger Weise. Wir nutzen Sprache zur Kommunikation. Wir führen Kriege, glauben an
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