Die Durchschnittsfalle (German Edition)
bereits genau erläutert, warum Talente nicht gewertet werden können – wir kennen die Fragen der Zukunft nicht und wissen nicht, welche Leistungsvoraussetzung einmal von größerer Bedeutung sein wird. Der Begriff „Talent“ tut das aber auch per se nicht. Die Menschen sind es, die stets den unverzeihlichen Fehler machen, von großen und kleinen Talenten zu sprechen. Das gilt genauso für die Produkte kreativen Handelns. Es ist eigentlich gewissermaßen unzulässig, einem Kunstwerk einen Wert zu geben. Kunst und ihre Produkte können und sollen eigentlich nicht verglichen werden. Warum und wie der Kunstmarkt einen Wert (etwa in Geld) für ein Kunstwerk festlegt, hat ganz andere Gründe und folgt vor allem auch ganz anderen Gesetzen. Die Nachfrage bestimmt etwa den Wert. Was schließlich sehr oft auch dazu führt, dass der Tod des Künstlers den Wert seiner Werke steigert. Wenn ich konsequent bei meiner Argumentation bleibe, dann kann Kunst eigentlich keinen Wert haben. Damit meine ich natürlich nicht, dass Kunst keinen Wert für die Gesellschaft hat. Dieser Wert künstlerischen Schaffens kann überhaupt nicht hoch genug eingestuft werden. Aber das Kunstwerk mit einem Geldbetrag zu bewerten – das ist eine ganz andere Sache – und spiegelt vielleicht sogar sehr selten das Ausmaß kreativen Schaffens, das dafür notwendig war, wider.
In der Wissenschaft verhält es sich etwas anders, wenn es um die Wechselwirkung zwischen kreativem Schaffen und Bewertbarkeit geht. Direkte mittelbare Bewertungen von Wissenschaft müssen stets von Fehlern übersät sein. Es ist nämlich eigentlich vollkommen unwichtig, an welcher berühmten oder weniger berühmten Universität das Wissen geschaffen wurde. Es ist irrelevant, von wem, ob von einem berühmten Kollegen oder von einem Unbekannten. Es ist unwesentlich, wo die neue Erkenntnis publiziert wurde (vorausgesetzt, es ist international zugänglich), wie viel Geld dafür ausgegeben wurde oder wie viele Wissenschaftler daran gearbeitet haben. „Change the way of thinking“, „Contribution to the scientific field“, das sind Kriterien der Bewertung, die von größerer Bedeutung sind. Wissenschaftlich neue Erkenntnisse haben aber wahrscheinlich / vielleicht grundsätzlich immer einen Wert im Sinne eines Nutzens für die Menschheit, vollkommen unabhängig davon, ob es sich um Geistes- oder Naturwissenschaften handelt, vollkommen unabhängig davon, ob es sich um Medizin, Physik, Chemie oder Philosophie handelt. Das Problem der heute so häufig durchgeführten Bewertungen von Wissenschaft ist, dass viele gerne sofort einen unmittelbaren Nutzen hiervon hätten. Das ist im Bereich der angewandten Forschung auch oft möglich. Im Bereich der Grundlagenwissenschaften aber kann sich die (praktische) Bedeutung eines neuen Wissens möglicherweise erst Jahrzehnte später herausstellen.
Im Zusammenhang mit unserer Diskussion über individuelle Talente, ihre Entdeckung und Förderung stellt das gewissermaßen ein zusätzliches Problem dar. Wir haben gesagt, dass Begabungen und Talente sich unserer Beobachtung entziehen. Was wir sehen, ist das Ergebnis, im besten Fall der Erfolg, der sich durch die Wechselwirkung besonderer individueller Leistungsvoraussetzungen und Umweltfaktoren (harte Arbeit, sie zu finden und umzusetzen) einstellt. Was aber, wenn in der Wissenschaft, vor allem in der Grundlagenwissenschaft, sogar der Erfolg (also gewissermaßen die Bedeutung des Ergebnisses, des neuen Wissens) so einfach oft nicht messbar ist? Ich komme am Ende dieses Kapitels noch darauf zurück, dass es so kompliziert dann wieder doch nicht ist.
Das Problem mit der Reproduktion
Wir müssen an dieser Stelle des Buches eine sehr grundsätzliche Diskussion zulassen. Ich führe sie im Kapitel „Wissenschaft“, weil sie hier sehr gut erklärbar ist.
Eine existenzielle Frage ist, ob die Umsetzung besonderer Leistungsvoraussetzungen durch harte Arbeit auch dann als Erfolg bezeichnet werden kann, wenn sie zu nichts Neuem führt. Oder werden unter diesen Umständen dann Talente „verschwendet“?
Sie sehen jetzt auch, warum ich diesen Aspekt in diesem Kapitel diskutiere. Weil es sich in der Wissenschaft ganz klar beantworten lässt. Wer nicht kreativ etwas Neues schafft, hat in der Wissenschaft nichts geschafft. Das haben wir bereits festgehalten. Wir haben aber auch schon festgestellt, dass Kreativität in unserem Konzept eigentlich stets von Bedeutung ist, weil der Erfolg im besten Fall immer etwas
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