Die Durchschnittsfalle (German Edition)
oder eben nicht. Es beginnt schon damit, dass man ein Organ haben muss, welches einem ermöglicht, für 2000 Menschen hörbar zu singen. Das besitzen schon die wenigsten. Und dann muss das noch eine schöne Stimme sein. Natürlich muss man daraus etwas machen. Und selbstverständlich ist es äußerst gefährlich, sich bei der Verwendung seiner Stimme nicht an bestimmte Regeln zu halten. Einerseits kann nicht jede Stimme jede Partitur singen. Und andererseits darf man niemals zu viel singen. Wie oben beschrieben, kann der undisziplinierte Umgang mit seiner Stimme fatale Folgen für seine Karriere haben. All das habe ich von Direktor Holender gelernt. Aber seine Stimme hat man – die Anlage dafür ist wohl biologisch. Nennen Sie es Begabung oder Talent – Sie wissen, ich nenne es einfach lieber eine besondere Leistungsvoraussetzung, die durch harte Arbeit entdeckt und in eine besondere Leistung umgesetzt werden muss.
Berücksichtigt man alles, was wir bisher über die starken genetischen Einflüsse auf körperliche Merkmale des Menschen gesagt haben, so erscheint es eigentlich nicht überraschend, dass die Stimme sehr stark genetisch mitbestimmt ist. Zwei eineiige Zwillinge haben nahezu gleiche Stimmen. Verwandte verfügen öfter über ähnliche Stimmen. Die Stimme hängt im Wesentlichen von der morphologischen Beschaffenheit des Stimmapparates ab. Wie straff sind die Stimmbänder, wie nahe stehen sie zueinander und wie symmetrisch sind sie? Wie groß ist der Kehlkopf? Wie sind die Muskeln in der Nähe angelegt und aufgebaut? All das sind wesentliche Fragen im Zusammenhang mit der Stimme eines Menschen. Die Stimme der Menschen ist äußerst individuell und sehr stark biologisch mitbestimmt. Erst vor Kurzem konnten konkret entscheidende Gene für die Beschaffenheit des Stimmapparates bei dem Modell der Zebrafinken identifiziert werden. Für Vögel ist die spezifische individuelle Stimme / Tonlage von überlebenswichtiger Bedeutung.
Das Hören
Die Stimme ist das Instrument der Sänger. Aber welche besonderen Leistungsvoraussetzungen benötigt ein Pianist, ein Geiger, ein Dirigent …? Ganz im Sinne des oben Besprochenen wird uns gleich klar, dass einerseits all diese Künstler ihr spezielles Set an vielen verschiedenen Leistungsvoraussetzungen brauchen. Es würde natürlich den Rahmen dieses Buches sprengen, sich jetzt im Detail über all diese verschiedenen notwendigen Begabungen Gedanken zu machen mit dem Ziel, genetische Faktoren und Umweltaspekte dabei zu vergleichen. Das Hören könnte allerdings eine Leistungsvoraussetzung sein, die wohl alle Musiker benötigen.
Maestro Welser-Möst hat auf meine Frage nach den Anlagen für das Hören gesagt, dass man in diesem Zusammenhang sehr viel üben und trainieren kann, jedoch eine bestimmte angeborene Grundvoraussetzung von großem Vorteil ist. Gefragt habe ich, weil natürlich klar ist, dass Musikalität etwas mit dem richtigen Hören der Töne zu tun hat, und weil das sogenannte absolute Gehör, aber auch Ton-Taubheit (wenn Töne überhaupt nicht unterschieden werden können) schon immer einem gewissen eben auch genetischen Ursprung zugeordnet wurden. Selbstverständlich kann und soll man bei Kindern schon sehr früh feststellen, ob sie ein entsprechendes „musikalisches“ Gehör haben oder nicht. Und ja, genetische Ursachen sind in diesem Zusammenhang schon sehr viele bekannt. Es wurden auch schon entsprechend viele Untersuchungen von Genetikern gemeinsam mit Musikwissenschaftlern an „musikalischen“ und „unmusikalischen“ Familien durchgeführt. Es wurde dabei genau studiert, wie gut die Probanden Tonhöhen, Tonlängen und Tonmuster unterscheiden konnten. Und dann wurden entsprechende genetische Analysen durchgeführt. In der Tat kamen charakteristische Unterschiede an Genen zum Vorschein, die bereits früher mit Klang-Verarbeitung in Verbindung gebracht wurden. Ein solches Gen codiert etwa für ein Protein, das eine wesentliche Rolle bei der Bildung der Klangsensoren, der kleinen Haarzellen im Innenohr spielt. Ein anderes so identifiziertes Gen steht in Verbindung mit Dyslexie (Problemen mit Lesen und Verstehen von Wörtern) (Pulli K. et al.: J Med Genet. 45: 451-6, 2008; Tervaniemi M. Ann N Y Acad Sci., 1169:151-6, 2009).
Bevor ich jetzt all die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Genetik des Hörens aufzähle, würde ich lieber gerne die Gelegenheit nutzen, mit der weitverbreiteten Meinung, dass ein absolutes Gehör (das im Gegensatz zum
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