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Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Die Durchschnittsfalle (German Edition)

Titel: Die Durchschnittsfalle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Hengstschläger
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Individuelles, etwas Andersartiges, etwas schöpferisch Neues beinhalten sollte. Beginnt wissenschaftlicher Erfolg erst da, wo er etwas Neues kreiert? Eindeutig ja! Aber beginnen auch handwerkliche, künstlerische, politische Erfolge oder auch Managementerfolge erst da, wo sie kreativ Neues schaffen oder zumindest zum Ziel haben? Ich meine ja! Wenn jemand eine Mozart-Partitur am Klavier spielt, dann stellt sich der Erfolg erst wirklich ein, wenn er sie interpretiert. Durch die individuelle Interpretation des Pianisten wird sie zu etwas Neuem und zu einem Erfolg. Die reine kopiengetreue Reproduktion ist sicher auch schön anzuhören, aber nicht Kunst. Sie meinen, das ist hart formuliert? Sie meinen, das ist eine zu hohe Messlatte? Ich meine ja nur, dass dadurch, dass man seine eigene Interpretation kreiert, Individualität zwingend zu Neuem führt. Das ist doch das Erstrebenswerte. Und dafür benötigt man eine Menge von Leistungsvoraussetzungen, wie künstlerische Talente, oft auch motorisch-körperliche Fähigkeiten, kreative Begabungen und vieles mehr. Etwas Neues daraus zu machen, das muss das Ziel sein.
    In der bildnerischen Kunst ziehe ich (und ich bin mir sicher, auch Sie) das Neue, noch nie Dagewesene auch stets der reinen Kopie, der reinen Reproduktion vor. Ich schätze die Fotografie, die mir das Objekt durch das Auge des Fotografen mit all seinen individuellen Interpretationen zeigt, viel mehr als die passfotoähnliche reine Wiedergabe der Realität. Ich will auch nicht wissen, wie eine Semmel schmeckt, sondern wie die Semmel meines Bäckers schmeckt. Ich will auch nicht wissen, wie die gängige Therapie im Falle meiner Erkrankung aussieht, sondern wie die individuell auf mich zugeschnittene und daher für mich optimale Therapie meines Arztes dafür aussieht. Jeder Patient ist anders, ist individuell! Ich möchte individuelle Betreuung bei meinem Haarschnitt, individuelle Leistung des Koches, wenn ich ins Restaurant gehe, und möglichst individuelle Betreuung als Hotelgast. Wenn wir doch einerseits um die große Bedeutung der Individualität für die Lösung der Fragen der Zukunft wissen und außerdem Individualität in allen Lebensbereichen, in der Wissenschaft, in der Kunst, im Sport und auch in unseren sozialen Beziehungen einfach mehr schätzen, warum orientieren wir uns dann bei der Auswahl und Ausbildung der Kindergartenkinder, der Schüler, der Studenten, unserer Mitarbeiter viel zu oft am ebenso wissenschaftlich ermittelten wie wertlosen Durchschnitt? Warum wollen wir dann nicht, dass unsere Kinder, Schüler, Studenten, Mitarbeiter aus der Reihe tanzen? Warum wollen wir dann selbst nicht aus der Reihe tanzen?
    Ich habe in den ersten Kapiteln dieses Buches schon intensiv versucht, eine Reihe von Begründungen für dieses aktuelle durchschnittsfrömmige Phänomen (Angst, Bequemlichkeit, Sicherheitsgefühl, einer von vielen sein zu wollen etc.) zu finden. Ich will nicht sagen, dass wir nicht Mindeststandards brauchen – in der Bildung, in der Medizin, beim Backen meiner Semmel. Das ändert aber nichts daran, dass reine Reproduktion auf Dauer nicht der richtige Weg ist:
    Wenn besondere Leistungsvoraussetzungen durch harte Arbeit entdeckt und in etwas Nichtindividuelles, schon Dagewesenes umgesetzt werden, sollten wir nicht von Erfolg, sondern von Talentverschwendung sprechen.
    Was ist neu?
    Da haben wir aber schon die nächste äußerst wichtige Frage aufgeworfen: Was ist neu? Es muss uns bei der Argumentation rund um die große Bedeutung von Individualität, von Talentförderung, Kreativität, Erfolg, etwas Neues zu schaffen, klar sein, dass es irgendwie bestimmt werden muss. Bloß aus der Reihe zu tanzen und einen neuen Weg zu gehen reicht freilich nicht aus.
    Die Tatsache, dass man es anders macht als ein anderer, allein erfüllt noch nicht notwendigerweise den Anspruch des (sinnvollen) Neuen.
    Um festzustellen, ob ich wirklich etwas Neues, etwas noch nie Dagewesenes geschaffen habe, muss ich die Voraussetzungen, den aktuellen Stand der Dinge, die Geschichte kennen. Wer den Wert der gegenwärtigen Leistung für die Zukunft einschätzen will, muss die Vergangenheit kennen.
    Wenn ein Wissenschaftler eine Frage stellt, um durch die Antwort darauf etwas Neues zu schaffen und meist dabei neue Fragen aufzuwerfen (was fast das noch Wichtigere daran ist), so muss er eigentlich wissen, ob die Frage schon beantwortet ist. Und damit meine ich ganz klar, dass es nicht ausreicht, wenn er es nicht weiß. Man darf

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