Die Durchschnittsfalle (German Edition)
synonym für Talent oder Begabung verwendet wird. Der Intelligenzquotient ist aber eine Kenngröße zur Bewertung des allgemeinen intellektuellen Leistungsvermögens eines Menschen. Sie werden gleich sehen, warum mir der Intelligenzquotient gar nicht liegt. Er wird nämlich durch den Vergleich mit dem Durchschnitt (hier im Allgemeinen als 100 definiert) ermittelt! Der dafür durchgeführte Intelligenztest bewertet die Intelligenz eines Menschen mit dem anhand einer Normstichprobe geschätzten Durchschnitt der Gesamtbevölkerung im selben Zeitraum und im vergleichbaren Alter. Damit kann man doch keine Freude haben.
In die Diskussion um eventuelle biologische Leistungsvoraussetzungen beziehungsweise Talente muss der Intelligenzquotient aber auch deshalb eingebracht werden, weil es durch unzählige wissenschaftliche Studien heute als erwiesen gilt, dass der Anteil der Gene daran zumindest 50 Prozent ausmacht. Das ist zugegeben hoch. Das ist zugegeben eine nicht wegzudiskutierende Größe. Das bedeutet, dass unser allgemeines intellektuelles Leistungsvermögen zumindest zu 50 Prozent von Anfang an existiert, biologisch festgeschrieben ist. Für viele, ja sogar sehr viele unserer 22.500 Gene wurden Bedeutungen im Zusammenhang mit unserem allgemeinen intellektuellen Leistungsvermögen vorgeschlagen, genau getestet und schließlich bewiesen. Ob es uns nun recht ist oder nicht, der Schluss daraus lautet:
Es gibt wohl keine besondere Leistung im Sinne von Erfolg, für deren Erreichung das allgemeine intellektuelle Leistungsvermögen des Menschen irrelevant ist. Da dieses Leistungsvermögen zumindest zu 50 Prozent genetisch bestimmt wird, gibt es keinen nicht biologisch mitbestimmten Erfolg.
Aber! Aber! Das bedeutet umgekehrt auch, dass die Umwelt selbst bei unserem intellektuellen Leistungsvermögen eine enorme Rolle spielt!
Es gilt also gerade im intellektuellen Bereich all das, was wir bisher im Buch für alle besonderen Leistungen des Menschen gesagt haben. Ohne diese biologischen Leistungsvoraussetzungen zu entdecken und den Menschen zu ermöglichen, sie zu entfalten, sind sie wertlos. Viele, viel zu viele Träger vielleicht sogar sehr hoher biologischer Intelligenzvoraussetzungen lernen wir nie kennen, weil sie nicht lesen und schreiben und daher auch keinen Intelligenztest machen können. Wenn es aber 50 Prozent zu 50 Prozent steht, zwischen Genetik und Umwelt, hat es dann überhaupt Sinn, seinen Intelligenzquotienten zu bestimmen? Nun, ich kann die Frage zumindest für jene Bereiche beantworten, die ich seit vielen Jahren gut kenne: die Studentenausbildung an der Universität und die Forschung. Sollte mir ein Student oder ein wissenschaftlicher Mitarbeiter meines Instituts seinen ermittelten Intelligenzquotienten als Argument für was auch immer vorlegen, so müsste ich wahrscheinlich nur lachen. Oder nein! Ich würde mit ihm ein wenig weinen. Warum? Weil ich ihm sagen müsste, dass sein Intelligenzquotient in seinem Leben mehr oder weniger gleich bleibt. All das viele Lernen, Vorlesungen besuchen, all der Prüfungsstress, all die vielen Experimente im Labor, das Lesen wissenschaftlicher Veröffentlichungen, das Besuchen wissenschaftlicher Kongresse – und der Intelligenzquotient ändert sich nicht! Wie traurig!
Die einen sagen dazu, dass der Intelligenzquotient vielleicht vorwiegend den genetischen, nicht veränderbaren Anteil am intellektuellen Leistungsvermögen bestimmt. Die anderen sagen, er berücksichtigt Genetik und Umwelt, bleibt aber nun einmal mehr oder weniger ein Leben lang gleich. Die dritten sagen, er ändert sich ja ohnedies. Einerseits ändert sich sogar der Bevölkerungsdurchschnitt bei Intelligenztests über die Jahre (das ist der sogenannte Flynn-Effekt) und andererseits zeigen aktuelle Studien, dass sich der Intelligenzquotient im Leben jedes Einzelnen schon, wenn auch nur geringfügig, ändern kann. Interessanterweise sind sich die Studien nicht einig darüber, wie lange er zunehmen kann und ab wann im Laufe des Lebens er wieder abnimmt!?
Interessant ist außerdem, dass wir mehrere Leistungsvoraussetzungen (Talente) des Menschen in diesem Buch kennenlernen, die im Lauf des Lebens gleich bleiben: Die Anlage zur Kreativität steht unter diesem Verdacht, der Intelligenzquotient (mehr oder weniger), und wir werden etwas später noch über Empathie und Temperament reden – warten Sie ab.
Das „reale“ wissenschaftliche Leben
Der Wissenschaftler muss von Kreativität in höchstem Maße
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