Die Ecstasy-Affäre
anzufangen.«
»Aber sie mit Ihnen. Russinnen sind berühmt für ihre Liebe.«
»Liebe! Ist das Liebe, was man hier anbietet? Sissi – darf ich Sie so nennen – was verstehen Sie unter Liebe? Für dreihundert Mark die Beine spreizen? Zahl, Junge, und mach schnell, und dann raus mit dir! Das nennt ihr Liebe?«
»Sie haben recht.« Sissi strich sich über die Ponyhaare. »Hier ist es ein Geschäft. Sie kaufen eine lebende Ware.«
»Das klingt fast traurig.« Habicht widmete sich wieder seinem Pils, aber beim Trinken blickte er über den Glasrand zu ihr hin. »Ich habe einmal eine Frau sehr geliebt. Sie gehörte zu meinem Leben.«
»Sie sprechen in der Vergangenheit.«
»Ich bin Witwer. Meine Frau starb vor einem halben Jahr.«
»Das tut mir leid.« Sie blickte über Habicht hinweg ins Leere. »Ich kann es Ihnen nachempfinden. Ich habe auch einen lieben Menschen verloren.« Sie zuckte zurück und schüttelte den Kopf. »Aber warum erzähle ich Ihnen das? Es ist lange her. Damals war ich noch in Wien.« Sie zog das Glas wieder an sich und fragte wie einstudiert: »Noch ein Pils?«
»Nein, danke. Jetzt habe ich Hunger. Wo kann man hier gut essen?«
»Bei Maxe … nein, noch besser beim Chinesen-Otto, der ist gleich um die Ecke. Mögen Sie chinesisches Essen?«
»Ab und zu. Ich hatte wenig Gelegenheit, Restaurants zu testen. Meine Frau kochte zu gut. Aber ich werde Ihren Rat befolgen: Ich vertraue mich Chinesen-Otto an.«
»Und berichten Sie mir, wie es Ihnen geschmeckt hat?«
»Soll das heißen, ich soll wiederkommen? Sie haben Glück, Sissi, ich bin morgen bei Herrn Rutkin, um mir die Ikone abzuholen.«
Es war ein Wortgeplänkel, ein Hin und Her wie bei einem Pingpongspiel, und Habicht gefiel es. Er konnte es nicht genau begründen, aber er mochte Sissis ehrliche, offene Art zu sprechen. Seine Erfahrungen mit den ›Damen‹ in München hatten ihn in den vergangenen Monaten abgehärtet. Er war in eine Welt eingedrungen, deren Existenz er bisher zwar wahrgenommen, aber nie zum normalen Leben gerechnet hatte. Männer, die in Bordelle gingen, um sich dort für teures Geld die Illusion von Liebe zu kaufen oder sich nur einfach zu entleeren, die sich stundenlang auf Barhocker klemmten, um einen Ausgleich zu ihrem tristen Alltag zu suchen, hatte er, der Urtyp des braven Bürgers, immer für Menschen gehalten, die eine gewisse Primitivität verdecken wollten. Jetzt, eingetaucht in diese Welt, in ein Leben zwischen Ekstase und Depression, zuckenden Farbscheinwerfern und schwüler Dämmerung, hatte sich sein Menschenbild grundlegend geändert. Eine Frau wie diese Sissi Huber war für ihn kein Schattengewächs mehr, sondern ein hart arbeitender Mensch, der um sein Dasein auf dieser Erde kämpfte.
»Wenn Sie morgen kommen, mixe ich Ihnen einen Spezial-Cocktail«, sagte Sissi und kassierte den Preis für das Bier. »Mögen Sie es scharf oder mild?«
»Sagen wir: eine milde Schärfe.«
»Einen Spiee Island?«
»Keine Ahnung, was das ist.« Habicht lachte. »Von Cocktails verstehe ich nur soviel, daß sie schmecken müssen. Und jetzt gehe ich hinüber zum Chinesen-Otto.«
Das chinesische Restaurant von Otto Fuhrmann, den man Chinesen-Otto nannte, weil er von Geburt an schrägstehende Augen hatte, war ein kleines Lokal von drei ineinander übergehenden verwinkelten Räumen und einer so kleinen Küche, daß man es als Kunstwerke betrachten mußte, was der chinesische Koch und seine Küchenhilfe auf die Teller zauberten. Man saß auf geschnitzten chinesischen Holzstühlen und unter einer bunt bemalten Glasdecke, auf der sich einige Drachen anfauchten. Alles war so, wie sich ein Europäer ein chinesisches Restaurant vorstellt. Am Eingang stand ein großes Aquarium mit exotischen Fischen, für Kenner der Szene ein Beweis, daß auch Chinesen-Otto Schutzgelder an die Triaden zahlte.
Das Lokal war halb leer, Habicht fand einen Tisch im dritten Raum, von dem aus er alles überblicken konnte, suchte sich aus der umfangreichen Speisenkarte ein Gericht aus Schweinefleisch, Bambussprossen und chinesischen Pilzen aus, bestellte dazu ein Viertel leichten Rotwein und sah Otto Fuhrmann entgegen, der auf ihn zukam. Chinesen-Otto hatte die Angewohnheit, jeden Gast persönlich zu begrüßen, nach dem Motto: Dem Gast schmeckt es besser, wenn gute Worte ihn begleiten.
»Ich fühle mich geehrt«, sagte Otto, »daß Sie gerade mein unwürdiges Lokal ausgewählt haben, um besonders köstlich zu speisen. Mein elender Koch wird Sie
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