Die Ecstasy-Affäre
geht bereits für zehn Mark weg. In Amsterdam, dem Drogenmekka Europas, kauft man dagegen auf dem Schwarzmarkt hundert Tabletten für 72 Pfennig! Welch ein Geschäft!
So erfolgreich diese Razzien gewesen waren, für Reiber waren sie unbefriedigend. Die vierundzwanzig Verhaftungen brachten keine Erkenntnisse. Niemand hatte Lisa Brunnmeier gekannt, in den Techno-Schuppen war sie angeblich völlig unbekannt, Fotos der Toten wurden gleichgültig und mit einem Schulterzucken betrachtet. »Nie gesehen.« Vollkommenes Schweigen herrschte bei den Fragen nach der Herkunft der Drogen. Nur einer der Inhaftierten ließ sich herab, zu erzählen:
»Da ist so ein Typ, der geht von Schuppen zu Schuppen und hat so 'n Holzkoffer bei sich. Den klappt er auf wie 'n Bauchladen, und da kannste dir alles aussuchen, was du willst. Vom Schuß bis zum Blättchen, alles drin. Der läuft mit seinem Bauchladen in den Schuppen herum wie ein Blumenverkäufer.«
Reiber ließ ihn abführen, ohne ihn weiter zu befragen. »Der verarscht uns«, sagte er resignierend. »Und morgen läßt ihn der Haftrichter wieder frei. – Der Nächste.«
Wie Reiber vorausgesehen hatte: Die Aktion war ein Schlag ins Wasser, was den Fall Lisa Brunnmeier betraf. Auch nähere Freunde, die man in den nächsten Tagen verhörte und deren Namen Reiber von Lisas Eltern bekommen hatte, wußten nur, daß die Tote gern getanzt hatte, viel lachte, immer fröhlich war, ein richtiger Kumpel. Drogen? Nie! Ecstasy? Keine Ahnung. In welche Disco sie öfter ging? Das waren drei. Und da soll es Ecstasy geben? Nie gesehen. Wir sind sauber, Herr Kommissar.
Es war, als liefe Reiber gegen eine Gummiwand.
»Das habe ich nicht anders erwartet«, sagte er zu Wortke, als sie sich wieder zu einem Austausch ihrer Ergebnisse trafen. »Wir haben alle bekannten Discos und Clubs untersucht. Aber wieviel unbekannte gibt es in München? Darüber liegt der Nebel. Ich muß auf meinen alten Plan zurückkommen: Wir brauchen Informanten aus der Techno-Szene. Jugendliche V-Männer.«
»Das kriegst du nie genehmigt!« Wortke winkte ab.
»Dann mache ich es ohne Genehmigung!«
»Wie alt bist du, Peter?«
»Dreiunddreißig.«
»Eigentlich zu jung, um den Rest deines Lebens als Heimgärtner zu verbringen. Wenn das herauskommt, feuern sie dich sofort.«
»Und wenn ich Erfolg damit habe?«
»Der wird hingenommen, und dann fliegst du trotzdem. Erfolge anullieren keine Kompetenzüberschreitungen! Junge, wir sind doch Beamte.« Wortke holte aus seiner Rocktasche zwei Blatt Papier und strich sie auf Reibers Schreibtisch glatt. »Was ich hier habe, ist viel aktueller. Der Bericht der Obduktion. Ich habe ihn vorweg abgeschrieben, der amtliche Text kommt morgen. Und nun hör mal zu: Diese brave Lisa hatte vor ihrem Tod noch Geschlechtsverkehr. Obwohl sie drei Präservative im Täschchen hatte, verzichtete sie darauf. Warum wohl?«
»Weil sie da schon vollkommen high war und sich nicht mehr kontrollieren konnte.«
»So ist es. Der Tod ist durch Atemlähmung eingetreten, durch eine Überdosis von MDMA, also Methylendioxymetamphetamin, verschnitten mit dem halluzinogenen MDEA und etwas Heroin.«
»Eine Teufelsmischung!« sagte Reiber und nahm Wortke die Notizen aus der Hand. »Wer so etwas herstellt, ist ein Mörder!«
»Nach unseren Gesetzen verstößt er nur gegen das Arzneimittelgesetz.« Wortke tippte gegen das Blatt Papier, das Reiber in den Händen hielt. »Interessant ist der Geschlechtsverkehr. Der kann kaum in einer öffentlichen Disco stattgefunden haben.«
»Warum nicht? Da gibt es dunkle Ecken genug, Hinterhöfe, Flure, Türnischen.«
»Alles möglich. Die große Frage: Hat Lisa Brunnmeier die Kopulation überlebt, oder ist sie an den Folgen der großen Erregung in Zusammenhang mit Ecstasy an Herzversagen gestorben? Wenn das der Fall ist, kann der Partner sie nicht weggeschleppt haben, ohne bemerkt zu werden. Ich denke mir deshalb …«
»Sie ist auf einer Privatparty gestorben. Vielleicht war sie sogar allein mit ihrem Partner – in einer Wohnung, auf einem Zimmer, in einem dieser Untergrundverstecke.«
»Die keiner kennt. Es gibt viele Möglichkeiten.«
»Scheiße!«
»Das kannst du laut sagen. Wenn nur ein Mann beteiligt war, wenn es keinerlei Zeugen von Lisas Sterben gibt, stehen wir nackt da.«
»Ich glaube es einfach nicht!« Reiber warf Wortkes Notizen auf den Tisch. »Im Umfeld von Lisa Brunnmeier finden wir den oder die Mitwisser. Wir werden alle noch einmal vernehmen. Und dann
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