Die Ecstasy-Affäre
den Regalen …«
»Und abends, nach Feierabend?«
»Da sitz' ich bei den Alten, gucke in die Glotze oder bin im ›777‹ –« Sie streckte sich wieder auf der Wiese aus. »Ich möchte mal im Gras schlafen. Mit dir …« Sie merkte sofort den Doppelsinn ihrer Worte und wedelte mit den Händen. »Schlafen heißt nicht bumsen! Ich meine, wirklich schlafen …«
»Wir könnten am nächsten Sonntag zum Wörthsee fahren und dort zelten. So richtig zünftig. Mit Gaskocher, Erbsensuppe im Eisentopf, kalter Cola aus der Kühltasche, Luftmatratze und Schlafsack. Bei Mondschein im See baden, das Zirpen der Grillen hören, das Quaken der Frösche, das Plätschern der Wellen …«
»Das wäre toll, Robert.«
»Ich hole dich am Sonntag morgen ab.«
»Nein, wir treffen uns wieder Ecke Killer- und Schulstraße. Wenn mein Alter sieht, daß mich ein Junge abholt, springt der im Quadrat. Aber wenn ich sage: Ich fahre zum Hockeytraining, dann glaubt der das. Der ist noch von vorgestern.« Sie schob sich wieder auf Roberts Jacke und legte ihren Kopf auf seinen rechten Oberschenkel. Es war keine sexuelle Aufforderung, sie wollte einfach ihren Kopf höher legen. »Um wieviel Uhr?«
»Ist zehn Uhr recht?« Robert griff in ihre Haare und ließ die Strähnen durch seine Finger gleiten. »Zu früh?«
»Genau richtig. – Hast du ein schönes Zelt?«
»Laß dich überraschen.« Er schob alle zehn Finger in ihr Haar. Seide. Wirklich wie Seidenfäden, ein Hauch von goldenem Gewebe. Ulrikes Haare sind härter, dicker. Darin kann man sich festkrallen, hier muß man streicheln. Der plötzliche Gedanke an Ulrike, dieser Vergleich, beengte seinen Atem. Robert holte tief Luft, um den inneren Druck loszuwerden. »Es wird dir gefallen.«
»Bestimmt.«
»Aber wie willst du deinem Vater erklären, daß du in der Nacht nicht zu Hause bist?«
»Ich schlafe bei Moni, sage ich. Moni ist meine beste Freundin. Im Kaufhaus ist sie in der Lederwaren-Abteilung. Mein Alter kennt sie. Ich habe schon ab und zu bei Moni geschlafen, ehrlich, nicht bei 'nem Jungen, wirklich bei Moni. Mein Alter mag die Moni. Die ist zwanzig. Die möchte mein Alter am liebsten begrapschen, glaub' ich. Das kotzt mich auch an … Immer Moralpredigten und selbst heiß wie Nachbars Lumpi. Ich sag' ja: Alle lügen! Am ehrlichsten sind die Typen im ›777‹.«
»Vergiß mich nicht.«
Sie schob den Kopf auf seinem Oberschenkel ein Stück höher und sagte ganz ernst: »Du bist was ganz Besonderes, Robert. So was wie dich habe ich noch nicht kennengelernt. Du bist wie der Mann im Mond: so fremd und doch so nah.«
»Und du bist wie eine Elfe, aus einem Blütenkelch gestiegen.«
»Quatsch!« Sie richtete sich auf und strich sich die Bluse glatt. »Ich bin Christa Helling, Tochter des Fritz Helling und BH-Spezialistin im Kaufhaus. Alles andere ist Blablabla …«
Zum erstenmal nannte sie ihren vollen Namen. Helling. Wenn die Hellings Telefon hatten, war es jetzt leicht, ihre Adresse herauszufinden.
»Gehen wir?« fragte Robert.
»Wohin?«
»Zurück in den Schuppen.«
»Keine Lust. Hier ist es so schön. Du, ich glaube, ich könnte mich auch außerhalb des ›777‹ wohlfühlen. Aber nur mit dir …«
»Das hoffe ich. Und keine Angst mehr?«
»Nein. Du bist ein anständiger Junge.« Sie legte den Kopf wieder auf seinen Oberschenkel und starrte in den glitzernden Sternenhimmel. »Wieviel Sterne gibt es?« fragte sie plötzlich.
»Milliarden. Ich weiß es nicht.«
»Ach, es gibt was, was du nicht weißt?« Sie stieß ihm die Faust in den Magen, aber nicht wie ein Boxhieb, sondern mehr wie ein liebevoller Stups. Robert hielt ihre kleine Faust fest, zog sie an seine Lippen und küßte sie.
»Ich weiß so vieles nicht. Was willst du von den Sternen?«
»Ich möchte, daß du mir einen schenkst.«
»Wunsch erfüllt.« Er vergrub seine Finger wieder in dem seidigen Gold ihres Haares. »Welchen willst du haben?«
»Den dort.« Sie zeigte in den Himmel. »Der letzte da, der am Ende des Bogens.«
»Warum ausgerechnet der?«
»Er gefällt mir.«
»Du bringst die ganze Astronomie durcheinander. Ich kann ihn dir nicht schenken. Es ist der letzte Stern vom Großen Wagen.«
»Hach! Du kennst ihn also doch!« Sie räkelte sich auf seinem Schenkel und schob ihren Kopf auf seinen Schoß. »Dann such mir einen aus!«
Er blickte eine Weile in den Sternenhimmel und suchte einen glitzernden Punkt, weit, weit weg von den anderen. In der Unendlichkeit entdeckte er dann ein Glimmen, ein
Weitere Kostenlose Bücher