Die Ecstasy-Affäre
Stimme. »Gerda sagt, es sei wichtig. Ich bin sehr beschäftigt.«
»Ihr Ministerialbeamten seid das immer. Leider sieht man keine Wüchse, nur Auswüchse. Haha! Es dauert nicht lange, ich fasse mich kurz, im Gegensatz zu euren Elaboraten.« Dr. Pupp schien fröhlichster Laune zu sein; das ärgerte Habicht. »Es geht um deinen Sohn.«
»Mein Sohn Robert?«
»Hast du noch mehr, du fauler Hund? Also Robert …« Dr. Pupp räusperte sich. »Du weißt, ich bin sein Mathematiklehrer. Und ich bin seit über 25 Jahren Mathematiker, aber so etwas wie deinen Sohn Robert habe ich noch nicht gehabt! Ich habe immer geleugnet, daß es wirkliche Genies gibt, aber jetzt glaube ich daran! Dein Sohn ist das absolute Genie einer Mathe-Niete! Sein mathematisches Niveau ist beim Addieren stehengeblieben. Wurzeln sieht er als Gemüse an. Trigonometrie hält er für Chinesisch. Ich habe das noch nie erlebt! Verzeih, daß ich so offen spreche, aber da muß etwas geschehen.«
»Mein Sohn Robert nimmt seit Wochen Nachhilfestunden in Mathe.«
»Davon merke ich aber nichts.«
»Er gibt sich alle Mühe. Er paukt bis in die Nachtstunden hinein. Mehr kann man nicht tun. Ich habe damals in Chemie auch nichts begriffen und habe trotzdem mein Abitur mit einer Zwei hingekriegt. Er ist eben mehr ein Künstler als ein trockener Realdenker.«
»Zugegeben, Robert ist ein begabter Pianist. Um auf die Tasten zu hämmern, braucht man keinen Sinus und Cosinus. Man braucht auch nicht die Einsteinsche Relativitätstheorie, um Beethoven zu spielen. Aber auch in anderen Fächern hängt dein Sohn nach, sagten mir die Kollegen. Manchmal schläft er sogar im Unterricht ein! Latein, da war er immer gut … jetzt taucht er unter.«
»Das ist das erste, was ich höre.« Habicht klappte sein Briefmarkenalbum zu. Diese Nachricht war wirklich beunruhigend. »Auch Latein?«
»Unter anderem.«
»Wo sonst noch?«
»Überall.« Dr. Pupp putzte sich die Nase; Habicht hörte es deutlich im Telefon und ärgerte sich wieder. »Ein rätselhafter, radikaler Abfall der Leistungen. Plötzlich, seit einigen Wochen. Der Junge stiert vor sich hin, und wenn man ihn anspricht, scheint er gar nicht anwesend zu sein. Erst beim zweiten Mal reagiert er und sieht einen an, als habe er mit offenen Augen geträumt. Habt ihr das noch nie an ihm bemerkt?«
»Nie!« Habicht fühlte sich etwas verwirrt. »Bei uns ist er völlig normal. Das heißt: Mein Sohn Robert ist immer normal. Was da in der Schule vorkommt, dafür habe ich keine Erklärung. Mathematik war immer seine Schwäche, aber da kniet er sich jetzt rein. Intensiv! Das weiß ich. Er ist jeden Tag zur Nachhilfe, bis spät am Abend.«
»Wirklich unerklärlich.«
Habicht zuckte zusammen. Ein jäher Gedanke, der ihm durch den Kopf schoß, schien das Rätsel zu erklären. »Da ist doch etwas«, sagte er stockend.
»Werde deutlicher, Hubert.«
»Vor Wochen ist mein Sohn Robert überfallen worden. Ein Asiat wollte seinen Wagen aufbrechen. Als Robert ihn dabei überraschte, wurde er brutal niedergeschlagen. Das muß es sein. Ein Spätschaden! Du lieber Himmel, wenn das wahr ist! Ich werde morgen sofort Dr. Heimes, unseren Hausarzt, kommen lassen. O Gott, das ist ja furchtbar.«
»Das kann man wohl sagen, Hubert.« Dr. Pupps fröhliche Stimme wurde nüchterner. »Ich erinnere mich, Robert hat einige Tage gefehlt und kam dann mit einem Kopfverband in die Schule. So eine Sauerei! Immer diese Ausländer!«
»Du sagst es. Ich glaube, wir haben den Grund von Roberts Nachlassen gefunden. Er ist krank! Das solltet ihr Lehrer berücksichtigen bei eurer Beurteilung.« Habicht atmete tief durch. »Ich danke dir für deine offenen Worte, Emil.«
»Aber bitte, bitte, sie mußten sein.« Dr. Pupp wurde wieder fröhlich. »Kopf hoch, alter Sünder! Du schaffst das schon. Und wenn das Abitur in die Hosen geht … Klavierspielen kann er ja immer.«
Dr. Pupp legte auf, und Habicht verzog den Mund, als habe er Essig getrunken. Er war versucht, laut »Arschloch!« zu sagen, aber da kam Gerda ins Zimmer, und er schluckte das befreiende Wort hinunter.
»Was wollte Dr. Pupp?« fragte sie. Habicht winkte ab.
»Unser Sohn Robert läßt in der Schule nach. In Mathe ist er ein Minus-Genie. Ich werde heute abend mit ihm ein ernstes Wort reden.« Er sah seine Frau fragend an. »Glaubst du, daß er krank sein könnte?«
»Er wird immer blasser und verliert an Gewicht …«
»Das hast du schon mal gesagt. Hast du mit ihm darüber gesprochen?«
»Ja.
Weitere Kostenlose Bücher