Die Edda - Die Edda
er
inmitten des Wegs.
Nunmehr verstrichen
der Monde neun.
35
Einen Sohn gebar Mutter,
hüllt ihn in Seide;
sie netzten ihn
und nannten ihn Jarl.
Licht war sein Haar,
hell die Wange,
scharf die Augen,
dem Schlänglein gleich.
36
Zum Jüngling wuchs
Jarl da auf:
schwang den Schild,
schnitzte Bogen,
spannte Sehnen,
spitzte Pfeile,
hetzte Hunde,
hob die Lanze,
saß im Sattel,
entsandte Gere,
schwang das Schwert,
schwamm durch den Sund.
37
Im Walde kam
gewandert Rig,
Rig gewandert,
Runen lehrt er,
gab seinen Namen,
nannte ihn Sohn,
verhieß zu eigen
ihm Erbgüter,
ihm Erbgüter,
alten Besitz.
38
Von dort ritt er
durch dunkeln Wald,
bereifte Höhn,
bis zur Halle er kam.
Das Schwert schwang er,
den Schild hob er,
den Speer warf er,
spornte das Roß,
das Feld färbt er,
Fehde weckt er,
Krieger fällt er,
erkämpfte Land.
39
Zu eigen hatt er
achtzehn Höfe;
Gold verteilt er,
er gab allen
Schmuck und Schätze,
schlanke Rosse,
schenkte Spangen,
zerschlug Ringe.
40
Feuchte Wege
fuhren Boten,
hin zur Halle,
wo Herse saß;
er hatt eine Maid,
sie hieß Erna,
mit schlanken Fingern,
schneeweiß und klug.
41
Die Boten warben
und brachten sie heim;
sie gaben sie Jarl,
sie ging im Schleier.
Sie hausten beide
behaglich gesellt,
gewannen Nachwuchs,
genossen die Zeit
42
Kind war der ältste,
Knabe der andre,
Erbe, Erbwart,
Abkömmling, Mage,
Sproß und Sprößling -
sie sprangen ins Wasser -
Sohn, Gesippe -
saßen beim Brettspiel -
Kund hieß einer,
König der jüngste.
43
So wuchsen
Jarls junge Söhne,
zähmten Rosse,
rundeten Schilde,
warfen Speere,
spitzten Pfeile.
44
Jung König aber
kannte Runen,
Hegerunen
und Heilrunen;
auch konnte er
Krieger schützen,
den Sturm stillen,
stumpfen das Schwert.
45
Er stillte Feuer,
verstand die Vögel,
die See zu sänftigen,
Sorgen zu lindern,
gewann die Kraft
von acht Kriegern.
46
In Runen maß er
mit Rig Jarl sich,
bewährte List
und wußte mehr:
das Recht gewann
und erreichte er,
Rig zu heißen,
und Runenkunde.
47
Jung König streifte
durch Strauch und Wald,
lenkte Pfeile,
lockte Vögel.
48
Da rief die Krähe,
rastend im Baum:
»Warum, jung König,
kirrst du Vögel?
Du solltest lieber
Lanzen schwingen,
Rosse tummeln,
Recken fällen.
49
Herrlich sind Dans
und Danps Hallen,
reichres Erbe
als euer Besitz;
sie können wohl
Kiele reiten,
Wunden schlagen,
Schwerter prüfen.«
Anmerkungen
2 usw. Man beachte, wie immer schon die Elternpaare, auch die Bräute der drei Standesvertreter, nicht nur der von Rig Erzeugte, die ständischen Merkmale tragen! 21 »Karl« meinte eigentlich den Freien ohne Erbgut, der als Pächter, Diener, Handwerker usw. lebt. Unser Dichter gebraucht das handliche, auf Jarl reimende Wort für den grundbesitzenden Bauernstand, den er, der Zeitgenosse des entwickelten Ämteradels, nicht mehr als Rahm des Volkes ansieht. 24 Hölder (eigentlich hauldr) »Erbbauer«; Bonde »Bauer, Eigensaß«. 35 Jarl hat im Norden nie einen Geburtsstand bezeichnet; einen »Adel« über den Erbbauern gab es nicht. Unser Dichter wußte, daß es vor Alters zwischen dem Konig und der Menge der freien Grundbesitzer die Jarle gab: aus deren »Stand« glaubte er den König herleiten zu können. Seine Jarle unterscheidet in erster Linie die kriegerische Beschäftigung, auch der Besitz höherer Weisheit, durch Runen verkörpert (37 4. 44. 46), dazu die größere Zahl von (erkämpften) »Erbgütern« (37 8 . 39 2 ), 37 5 So daß Jarl nun Rig Jarl heißt (46 2 ); denn überliefert war, daß der Sohn, der erste König, den Namen Rig führte: den stellt das Lied als Erbstück vom Vater und vom göttlichen Großvater hin. 40 Herse ist der Gauhäuptling. Der Dichter denkt sich ihn kaum niedrigern Ranges als den Jarl. 42 Kund heißt »Sohn, Nachkomme«. 10 Der jüngste Jarlssohn, der nachmalige erste König, heißt im Urtext Konungr, d. i. »junger Fürstensproß«: sein Name ergibt dann die Bezeichnung der neuen Würde, konungr »König«. Es ist ein wortspielendes Gegenstück zu dem Eigennamen Caesar, der zum Standesnamen wurde. Im Deutschen ließ sich das Wortspiel nicht nachbilden. 49 Der Schluß ist verloren; aber zwei
isländische Stellen, die aus der Quelle unsres Liedes geschöpft haben, erlauben eine Ergänzung. Dan und Danp, Vater und Sohn, sind zwei dänische Kleinfürsten der vorheldischen Urzeit, Landsleute und Standesgenossen unsres »Rig Jung König«, an Landbesitz ihm überlegen. Jung-König führt Krieg
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