Die Edda - Die Edda
beiden mythischen Wesen kam eine neue Spitze in das weitverbreitete Volksrätsel. 36 Odin besiegt den Partner mit der unlösbaren Frage, die kein Rätsel mehr ist; damit fällt zugleich seine Maske; vgl. Nr. 2 Str. 52.
25. Die Runenlehren
W ir kennen viele germanische Runeninschriften, von denen die ältesten um 200 n. Chr. entstanden sein sollen; doch ist diese Zahl unsicher. Umstritten ist die Frage nach Alter und Herkunft der Runen. Daß man diese auch als Buchstaben, für Inschriften und Mitteilungen, benutzen kann, haben die Germanen wohl von einem ihrer Nachbarvölker, den Griechen, Römern oder Kelten, gelernt. Für Zauber und Weissagung aber kann man Runen schon viel früher gebraucht haben; Ähnlichkeiten mit den Schriftarten anderer Völker können teils auf Urverwandtschaft, teils auch darauf beruhen, daß man bei der späteren Verwendung als Schriftzeichen einzelne Runen nach fremdem Vorbild umformte oder neu einfügte.
Die Edda erzählt uns nur, woher die Runen stammen und wie man mit ihnen zaubern oder die Zukunft erfragen kann. Leider sind es nur Bruchstücke, die an verschiedenen Stellen der Eddasammlung verstreut sind. (Ob diese hier richtig geordnet sind, bleibt ungewiß.)
Magisch entrückt verkündet uns der Runenneister im ersten Stück seine geheime Weisheit. Am Urdbrunnen sitzt er, dem einst die Nornen entstiegen sind, die die Zukunft und das Menschenlos bestimmen. Was er uns lehrt, hat er vor Hars, des Hohen, Odins, Halle aus dem Munde des höchsten Gottes selbst vernommen. In Odins Runenkunde hören wir, wie Odin in seiner Jugend einmal erduldet hat, was später die Odinsopfer erlitten, indem er gehenkt und gespießt wurde, wie er dabei die Runen gefunden hat und wie er dann von seinem Mutterbruder, wohl dem weisen Riesen Mimir, tiefer in diese Weisheit eingeführt worden ist und einen Trunk getan hat von dem Zaubermet Odrörir (Geisterreger), den später
die Skalden zum Dichtermet machten. Daß man die Runen schon sehr früh von den Göttern und überweltlichen Mächten herleitete, lehrt uns ein schwedischer Runenstein aus dem 6. Jahrhundert, dessen Inschrift beginnt: »Runen färb ich, raterentsprossne«. Von der Deutung der Runen, die uns das zweite Gesätz von A verheißt, erfahren wir leider nichts; dieser Teil des Liedes ist verloren.
Auch das dritte Stück enthält Lehren eines Runenneisters, die in dunklen Worten beginnen. Heiddraupnir und Hoddrofnir sind wohl Namen Mimirs. Zauberherr, Raterfürst und Thund sind Bezeichnungen Odins. Wir erfahren, daß der Zaubermet seine Kraft dadurch erhalten hat, daß man Runen hineinmischte. Menschen und Außerirdischen ist von dem Met und damit von der Kraft dieser Runen zuteil geworden. Die Schlußzeile von A warnt vor unzeitigem Reden beim Runenzauber. Das vierte Stück belehrt uns, daß alle Dinge in und außerhalb der Menschenwelt ihre Runen haben, an die ihre besonderen Krafte gebunden sind. Wer diese Runen kennt, dem ist die Macht aller Dinge dienstbar.
Das fünfte Stück zählt Kraft und Verwendung einer Reihe von Runen auf. Daß es nicht vollständig ist, zeigt das Schlußgesätz, das noch weitere Arten nennt.
Der nächste kleine Splitter sagt uns, daß man durch Runen einen Toten zum Reden bringen kann, der beim großen Opferfest mit allerhand Getier gehenkt ist, mag er auch schon lange im Winde pendeln und mumienhaft ausgetrocknet oder hart gefroren sein.
Das letzte Gesätz gehört zu den spärlichen Resten, die uns von heidnischer Kultdichtung gerettet sind. Die Zukunft zu erfragen, ritzt man hier Runen, verbunden mit einem Tieropfer, wohl um die Gottheit gnädig zu stimmen. Indem man die Runen färbt, besonders mit Blut, steigert man ihre Kraft. Man darf sich dieses Gesätz von einem Priester gesprochen denken, der die Kulthandlung leitet, zu einem Gehilfen oder zu den Teilnehmern an der Feier. Die Form, ein starrer Kurzzeilengleichlauf, ist hochaltertümlich.
Genzmer
A. Die Entstehung der Runen
1
Zeit ist’s zu raunen
auf dem Rednerstuhl
an dem Urborn Urds.
Ich schaute und schwieg,
ich schaute und sann,
lauscht auf der Männer Mund:
2
Von Runen hört ich reden -
sie verrieten die Deutung
vor der Halle Hars;
in der Halle Hars
hört ich sagen so:
3
Runen sollst du finden
und rätliche Stäbe,
gar stolze Stäbe,
gar starke Stäbe,
die gerötet der Redeherr
und gewirket Weltmächte
und geritzt der Raterfürst.
4
Dann zeigt sich’s recht,
wenn du nach Runen fragst,
den raterentsproßnen,
wie
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