Die Edda - Die Edda
den Fürsten!«
14
Auf sah Gudrun
mit einemmal,
sah des Recken Haar
beronnen von Blut,
erloschen des Königs
lichte Augen,
des Mutes Burg
durchbohrt vom Schwert.
15
Die Königin glitt
aufs Kissen nieder:
hinsank das Haar,
heiß war die Wange;
ein Regenschauer
rann ihr aufs Knie.
16
Da weinte Gudrun,
Gjukis Tochter.
Ihre Klagen
klangen durchs Haus;
und hell schrien
im Hof die Gänse,
schmucke Vögel,
die die Frau hatte.
17
Da sprach Gullrönd,
Gjukis Tochter:
»Eure Liebe
acht ich die größte
aller Menschen,
die auf Erden sind:
Glück gab es,
Gudrun, für dich
fern und nah
nur bei Sigurd.«
18
(Da sprach Gudrun,
Gjukis Tochter:)
»So war Sigurd
vor den Söhnen Gjukis,
wie Gerlauch steht,
der im Grase wächst,
wie ein blitzender Stein
ins Band gesetzt,
ein Edelstein,
vor der Stirn der Jarle.
19
Des Herrschers Recken
hielten mich
höher noch
als Herjans Mädchen;
nun bin ich gebeugt,
den Blättern gleich
der Trauerweide,
um den Tod des Königs.
20
Auf der Bank entbehr ich,
im Bette mein,
den trauten Freund:
das taten die Brüder;
es taten die Brüder
Trauer mir an,
ihrer Schwester
schlimmes Weh.
21
So leer von Leuten
das Land euch werde,
wie ihr geachtet
die Eidschwüre!
Nicht sollst du, Gunnar,
des Goldes walten:
es wird zur Hel
der Hort dich bringen,
da du dem Schwager
schworest den Eid.
22
Größre Freude
erfüllte den Hof,
als Sigurd Grani
zu satteln ging
und sie fortritten,
zu frein um Brünhild,
zu übelm Ausgang,
die unselige.«
23
Da sprach Brünhild,
Budlis Tochter:
»Mann und Kinder
misse das Weib,
das Gudrun Tränen
gegeben hat
und heute morgen
den Mund ihr löste!«
24
Da sprach Gullrönd:
Gjukis Tochter:
»Schweig, verhaßte,
mit deinem Geschwätz!
Ein Fluch warst du
den Fürsten stets;
dich treiben alle
Unheilsfluten.«
25
Da sprach Brünhild,
Budlis Tochter:
»Einzig Atli
schuf alles Leid,
Budlis Erbe,
der Bruder mein,
da in der Halle
des Hunnenvolks
Wurmbetts Feuer
am Fürsten wir sahn.
Diesen Besuch
sollt ich büßen,
diesen Anblick;
ewig sorg ich.«
26
Sie stand am Pfeiler,
straffte die Glieder;
es brannte Brünhild,
Budlis Tochter,
Glut im Auge,
und Gift schnob sie,
als sie Sigurds Wunde
sehen mußte.
Anmerkungen
14 Burg des Mutes, skaldische Umschreibung für Brust. 19 Herjan ist ein Beiname Odins; dessen Mädchen sind die Walküren. 22 3-6 Die beiden Vorstellungen fließen ineinander: »als die Könige noch zu ihren gemeinsamen Fahrten ausritten« und: »bis sie den verhängnisvollen Werbungsritt zu Brünhild unternahmen«. 25f. Der Dichter denkt an den in Nr. 36 Str. 35ff. gegebenen Hergang: Atli ist der Schuldige, weil er seine Schwester Brünhild gezwungen hat, der Werbung Gunnars nachzugeben; Brünhild aber hat den goldstrahlenden Sigurd an Gunnars Seite erschaut und ihn zum Manne gewünscht; das ist der Anblick, den sie seither beklagt hat. 25 9 Den Glanz des Goldes; Wurmbett ist Gold, die Lagerstätte des Drachen.
44. Gudruns Lebenslauf
E in Auftrittlied, das einen Rückblick auf Gudruns Leben oder einen Teil ihres Lebens enthält. Aber der Dichter führt die Form der Einzelrede nicht folgerecht durch. Er läßt auch andre Gestalten als Gudrun redend auftreten; große Teile des Liedes machen so den Eindruck, als handle es sich um ein Lied der gemischten Form, um eines, das aus Rede verschiedener Handelnder und Erzählung des Dichters besteht.
Ungewiß bleibt, wann der Rückblick als von Gudrun gesprochen zu denken ist. Den Tod der Brüder setzt Str. 37 als geschehen voraus. Aber wie steht es mit der Rache an Atli? Wir wissen nicht, ob wir in Str. 44 den ursprünglichen Schluß des Liedes vor uns haben.
Den Dichter bewegt nur Gudruns Schicksal; Brünhild tritt ganz zurück. Nicht sie ist schuld daran, daß Sigurd ermordet wurde: das haben die Könige aus eigenem Antriebe getan, weil ihnen Sigurd zu mächtig geworden war.
Das Lied wird kaum vor 1200 entstanden sein. Der Balladenstil tritt mehrfach deutlich hervor, und die Vorstellungswelt des Nibelungenliedes oder dessen Vorgängers wird verschiedentlich erkennbar.
Genzmer
1
War die Maid der Maide;
die Mutter erzog mich,
die lichte, daheim,
war hold den Brüdern,
bis Gjuki mich
mit Gold beschenkte,
mit Gold beschenkte
und Sigurd gab.
2
So stand Sigurd
vor den Söhnen Gjukis
wie grüner Lauch,
der im Grase wächst,
wie der hohe Hirsch
vor hurtigem Wild,
wie glutrotes Gold
vor grauem Silber.
3
Doch mißgönnten mir
meine
Weitere Kostenlose Bücher