Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
besagte. Ich klingelte und wartete.
Keine Gewalt also. Aber so tun als ob. Der Bursche hatte bereits eine lädierte Nase und würde sich hüten, es auf einen weiteren Schlagabtausch ankommen zu lassen. Ich übte Gesichtsgrimassen und fand endlich jene, bei der man mir den schwarzen Gürtel in Karate umstandslos abkaufte. Außerdem war Honig zwar jünger, aber dafür kleiner und schmaler als ich. Im Notfall musste ich also sein kaputtes Nasenbein durch bloßes Streicheln ein zweites Mal brechen.
Ich klingelte wieder, drei kurze Töne und ein langer. Es tat sich nichts. Eine längere Wartezeit stand mir bevor, diesmal ohne Auto und Verpflegung, ohne Wein, Weib und Laptop. Oder sollte ich das Vorhaben abbrechen, auf morgen verschieben? Ich lief ein wenig auf und ab. Dachte nach. Honig und Lonig, so assoziierte ich vor mich hin, der eine ein armes Würstchen, der andere der mächtige, sinistere Satansbraten im Hintergrund. Lydia Gebhardt und ihr Gatte, das hermetisch abgeschirmte Haus. Der ganze Osterquatsch. Ostereiersuche mit sprachgestörten Osterhasen auf den Osterinseln, wer die meisten findet, erhält einen Strauß Osterglöckchen und darf sich als erster sein Stück vom Osterlamm abschneiden.
Fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten. Im Erdgeschoss, wo Hausmeister Raffke hauste, wurde Beethovens achte Symphonie oder Bruckners elftes Klavierkonzert abgespielt, so genau konnte ich das noch nie unterscheiden. Auf jeden Fall war es nichts, was mal jemand als Popp-Musik bezeichnet hat, Chopins »Valse d’amour« beispielsweise oder Tschaikowskis »Nussknacker-Suite« in der extraerotischen Version mit Blockflöte und konterkarierendem Kontrabass.
Egal, ich hörte mir das an, weil es sonst nichts zu hören gab. Doch. Schritte im Treppenhaus, und zu sehen gab es auch etwas, Licht nämlich. Die Schritte klangen weiblich, klack, klack machte es und die Tür öffnete sich und tatsächlich kam Weibliches zum Vorschein, zwei junge Damen.
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Für Frauen, die dem horizontalen Gewerbe nachgehen, waren die beiden, die soeben aus dem Haus getreten waren, in der Vertikalen entschieden zu groß, mindestens 1,80. Ihre Bekleidung konnte indes keinen Zweifel an der Art ihrer Existenzsicherung aufkommen lassen, wenn sie auch noch nicht lange im Gewerbe tätig sein konnten, denn das zeichnet sich gerade dadurch aus, sich nicht nuttig anzuziehen und wenigstens das Stöckeln auf hohen Absätzen in Perfektion zu beherrschen. Genau damit hatten die beiden Damen, die nun näherkamen, ihre Schwierigkeiten.
Ich tat nicht so, als seien sie Luft für mich. Genau dann signalisiert man ja Interesse, was mir nicht in den Kram passte, da ich auch nicht genü gend Geld dabei hatte. Außerdem kamen sie wohl gerade von einem körperbetonten Einsatz, vielleicht sogar aus Honigs Pennhaus. Sie waren auch, ganz ehrlich, nicht mein Fall. Die eine, deren Gesicht ich wie beiläufig checkte, kam mir seltsam bekannt vor, die andere hielt den Kopf gesenkt, beide hatten sich eingehakt und stützten sich gegenseitig. So gingen sie an mir vorbei.
So hätten sie an mir vorbeigehen sollen. Auf gleicher Höhe jedoch hob die eine, die den Kopf gesenkt gehalten hatte, diesen ruckartig an, wandte ihn mir zu, in den Augen lag jenes Blitzen, dem unweigerlich eine schlimme Tat folgt. Und sie folgte. Ich sah am unteren Rand meines Sichtfeldes etwas schnell sich Bewegendes, das gnadenlos meinen Solar Plexus ansteuerte, diesen auch punktgenau traf und mein Bewusstsein zwang, eine kleine Auszeit zu nehmen. Es fügte sich und alles um mich herum wurde dunkel.
Willkommen im Club. Ein Firmenschild macht bekanntlich noch keinen Detektiv, eine Autoverfolgung ebenso wenig, ein paar lauwarme Gedanken zu möglichen Tathergängen schon gleich gar nicht. Wer ein richtiger Privatdetektiv sein will, der muss wenigstens einmal in seinem Berufsleben anständig Prügel bezogen haben und ins Reich der abgeschalteten Sinne befördert wor den sein, ein Philip Marlowe hat das Tag für Tag erlebt, ausgeknockt werden und dann irgendwann auf nassem Straßenpflaster wieder aufwachen. Ich erwachte bei klassischen Klängen, Mozart oder so was. Aber, na ja, immerhin war ich von einer Frau k.o. geschlagen worden, da musste auch die Aufwachphase etwas Besonderes sein.
Man würde jetzt die Augen öffnen müssen, ganz eindeutig. Ich vergewisserte mich zuerst, dass ich weder gefesselt noch geknebelt war, auf weichem Unter grund ruhte und sich etwas im Zimmer hin und her
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