Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
verständnisvoll. »Ich hab doch gleich geahnt, dass du nicht zufällig in diese Rentnerverwahranstalt gekommen bist. Und jetzt kannst dich nicht entscheiden und beide Mädels sind sauer auf dich. Mensch, ich kenn das noch von damals, freie Liebe und so, und wie endet das immer: kleinbürgerlich mit Streit und Eifersucht.«
Ich nickte deprimiert und war von meiner Geschichte so überzeugt, dass sich tatsächlich ein dunkler Schatten auf meine Seele legte. »Was soll ich tun?«, seufzte ich und trank meine dritte Tasse Kaffee. Er war stark, er war gut, er war schwarz. »Nun«, sagte Irmi, »du musst dich entscheiden – oder beide für einen Dreier rumkriegen. Aber die Zeiten sind nicht so danach. Die Mädels sind ja wirklich nett, ich kannte ihren Vater Albert, kein dummer Kopf, aber steckte auch in den Zwängen. Frau geschwängert, Soziologiestudium abgebrochen, Kneipe aufgemacht. Das war mal ne linke Szenekneipe, wusstest du das? Bis die Typen alle irgendwie Abteilungsleiter waren und sich dort nicht mehr blicken lassen wollten. Die Alte von dem Albert ist ja irgendwann auf und davon und er sitzt mit den beiden Mädels da. Dann Krebs, ach, es ist so ne Scheiße, er war noch keine 45, ein Bild von einem Kerl.«
Wir hingen eine Weile unseren Gedanken nach und wieder bewunderte ich die Trinkfestigkeit dieser Frau, eine halbe Flasche Eierlikör hatte sie vor einer Stunde auf den Tisch gestellt, die Flasche stand noch da, fast leer, und Irmi lag nicht unter dem Tisch. »Und was sollte das mit dem Nacktbild?« Sie konnte auch noch klar denken, leider, und hatte nichts von der Wirtshausszene vergessen. Ich hustete, um Zeit zu gewinnen. »Tja«, sagte ich endlich, »mir sind da die Nerven durchgegangen. Es ist nämlich so: Einmal... na ja, einmal waren wir schon zu dritt, als...« Irmi machte einen Pfeifmund und schickte einen Ton hindurch, der wie das Rasseln eines lockersitzenden Gebisses klang. »Verstehe«, sagte sie, »die beiden Girls sind auch nicht so, ich meine keine Kinder von Traurigkeit jetzt. Früh verheiratet, früh geschieden, so soll es sein.«
Ich weiß nicht mehr, welcher Teufel mich ritt, welcher abwegige Gedanke an mein Bewusstsein klopfte, jedenfalls fragte ich: »Und keine heißt zufällig Lonig?« Irmi, die gerade den Rest aus der Flasche in ein Glas und den Inhalt die ses Glases in sich hineingekippt hatte, begann zu husten und entließ die Flüssigkeit in einem souverän gezirkelten Halbbogen in meine Kaffeetasse.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte sie, nachdem sie sich gefangen und ich ihr dezent auf den Rücken geklopft hatte. »Nur mal so«, sagte ich, »irgendwie...« Ja, irgendwie. Mein schönes Lügengebäude war kurz vor dem Zusammenbrechen. Poppt mit zwei Mädels und weiß nicht einmal ihre Nachnamen und dann wirft er einen in die Runde und kann nicht mehr sagen, warum und weshalb und überhaupt. Schlechter Lügner.
Aber der Eierlikör schien seine Arbeit entgegen des äußeren Anscheins zuverlässig zu erledigen, denn Irmi konnte nicht mehr bis drei zählen. Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Also nee, der Albert war ein Freund, mehr nicht. Ich bin nicht die Mutter von den beiden und hab auch keinen Sohn, der mit einer... Und wieso weißt du, dass ich Lonig heiße? Ich hab kein Namensschild unten hängen.«
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Bis ich meine Geschichte zu Ende erzählt hatte, war es beinahe Mitternacht geworden. Irgendwo tickte eine Uhr, sie sagte Mmmmmh-Mmmmmh, Irmi imitierte sie – oder andersrum. Eine neue Flasche Eierlikör war geöffnet worden, in meiner Verzweiflung beteiligte ich mich an der Verkostung, aber was hätte ich tun sollen? Irmi wollte wissen, woher ich den Namen Lonig kannte, ihren Namen. Nachdem ich ihr berichtet hatte, machte sie nur »is ja’n Ding« und nahm tief Luft.
»Die Lonigs, musst du wissen, waren einmal so etwas wie die Neckermanns hier in die Stadt. Vorm Krieg kleine Scheißer, dann durch die Arisierung zu zwei Kaufhäusern gekommen, im Krieg ausgebombt und nach dem Krieg generös entschädigt. Kennt man ja, die ganze Litanei. Trümmerfrauen, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und ab den Achtzigern gings langsam bergab, der kaufmännische Zweig unserer Familie degeneriert, ein Cousin hochgradig schwachsinnig, was ihn zum Chef prädestinierte, leider von seiner Frau und ihrem Clan finanziell aufs Kreuz gelegt worden. Kurz und knapp: In den Neunzigern waren sie pleite, mit der Fortpflanzung hatten sie es auch nicht so und sind, bis auf mich, das schwarze Schaf,
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