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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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die Miederwarenabteilung, da wird er zögern, denn Männer gehen nicht gerne in die Nähe von öffentlich feilgebotener Damenunterwäsche. Mische dich unter die Kundinnen, prüfe die Qualität der Büstenhalter, frage deine zufällige Nebenfrau, wo man die Körbchengröße »medium« findet, nutze die dadurch entstehende Verwirrung, springe rüber in die Damenoberbekleidung, verdrücke dich in die Um kleidekabine – nein, der Typ hinter mir war Profi, den konnte man mit solchen Finten nicht verwirren. Ich versuchte es trotzdem.
    Aber ganz anders. An der Ecke Weingartenstraße / Brunnengässchen gibt es das Café Oberthaler, einen schicken Laden mit schickem Publikum und einem Hinterausgang, denn im Café Oberthaler treffen sich Hausfrau und Hausmann jeden Morgen zu Frühstück und Seitensprung. Nein, nicht schon wieder Frühstück, es wäre das vierte gewesen, nur hineingehen und einen Espresso bestellen, sofort bezahlen, die Toilette aufsuchen, durchs Hintertürchen elegant verschwinden, durch das Brunnengässchen mich in den Rücken meines Verfolgers schleichen und dann – ihn verfolgen? Konnte schief gehen. Also lieber nicht, lieber gleich die Fliege machen.
    So geschah es. Ich bestellte meinen Espresso, den ich niemals trinken würde, presste die Oberschenkel entschuldigend zusammen, entfernte mich in Richtung Toilette, die ich – wenigstens heute – nicht frequentieren würde, fand die Hintertür offen und erreichte das stille Oberthaler Gässchen, wo sich mehrere Nobelboutiquen abseits vom Plebs der Konfektionsträger herumdrückten und auf das Geld der Freunde des Exklusiven warteten, sah mich um – nein, nicht verstohlen, wie das immer heißt, sondern ganz natürlich und normal – und entfernte mich eiligen Schrittes. Noch einmal umdrehen: niemand hinter mir. Richtung Fußgängerzone, Richtung Irmis Wohnung – noch mal umdrehen: Der Junge mit der Gitar re schlurfte in zwanzig Metern Entfernung in meine Rich tung, blickte zu Boden und versuchte sich an den Text von Dylans »Mr Tambourine Man« zu erinnern. Noch ein Zufall? Ich beschloss, ihn gelten zu lassen, schlug aber vorsichtshalber mehrere Haken, bis ich mir sicher war, dass ich den Verfolgungswahn vorläufig ad acta legen konnte und dem Reimzwang noch nicht verfallen war. Ich hatte Durst bekommen, dachte nicht an Wurst, ich dachte nicht an Gott, wohl aber an das Schafott, dem ich vielleicht entgangen war, nur: So sicher konnte ich mir da nicht sein.

144
    Die Dämmerung setzte noch früher ein als sonst zu dieser Jahreszeit. Die Sonne kauerte hinter neuen Wolkentürmen, denen kein Wind Asyl streitig machte, sie hinwegfegte oder gar den großen Diktator Sturm beauftragte, klar Schiff zu machen. Und es knallte. Knallte fürchterlich. Na eben: 30. Dezember.
    Schulkinder zündeten Monsterkracher, debiles Altvolk, im Hirnersatz nischt wie Carmennebel und Schlachtfeldphantasien, testete Tischfeuerwerk und freute sich, wenn Zinnsoldaten umfielen, wahrscheinlich riss gerade irgendwo ein Daumen von der ungeschickten Hand, verwandelte sich ein Auge in Rührei, dachte Opa bei der Detonation eines Chinaböllers an die toten Kameraden von Stalingrad. Das ist immer so kurz vor Silvester, ich hasse das, aber klingelte schulterzuckend an Irmis Haustür, abseits vom vorgezogenen Trubel, beinahe wie aus der Zeit gefallen.
    »Na, du kommst zur rechten Zeit. Hast Hunger?« Sie trug einen blauen Trainingsanzug, auf dem Rücken der Schriftzug »DDR«, und ging mir auf der Treppe voran. Die Treppe hatte mich erkannt und knarzte grüßend »nabend«. »Ich ess ja morgens notorisch nix und dafür am Abend mein Frühstück. Willst ein Hörnchen mit Butter oder Brötchen mit fett Konfitüre oder ne Nussecke?« Mit Mühe verbarg ich den Brechreiz, entschied mich für eine Tasse Pfefferminztee und stellte beruhigt fest, dass nirgendwo auf dem Tisch die knallgelbe Flasche drohte. Was nichts zu besagen hatte, war mir schon klar.
    Zwei Kerzen tropften vor sich hin, es duftete nach verbranntem Öl exotischer Herkunft, es war gemütlich wie nur je in Retrostanien, gleich wür den zwei Langhaarige mit Schrammelgitarren hereinkommen und klagend fragen, wo die Blumen geblieben sind. »Hm«, sagte Irmi, kaute herzhaft dazu, »ich geh nachher zu den Sisters einen trinken. Kommst mit?«
    Nein, antwortete ich, mein Bedarf sei für heute gedeckt. Sie sah mich neugierig an und ich erzählte, sie ließ die Nussecke, das Hörnchen, die Brötchen vom Erdboden verschwinden – kommen

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