Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
dazugehörigen Untertasse, auf dem dazugehörigen Teller ein aufgeschnittenes, großzügig mit Butter und Brombeermarmelade bestrichenes Brötchen, alles irgendwie dazugehörig. Und daneben, überhaupt nicht zugehörig, eine Pistole. Der Schalldämpfer war schon draufgeschraubt.
Alle Räder stehen still
10 Uhr, Kaffeepause. Hermine saß im Aufenthaltsraum und starrte in die Tasse. Sie dachte nichts. Sie war eine Statue.
10 Uhr, Kaffeepause. Vika spürte ihre Beine nicht mehr. Sie starrte auf Klein, der, an die Mauer gelehnt, zu schlafen schien, eine Zigarette zwischen den Lippen, nicht angezündet. Es war wie ein Gemälde, das von einem anderen Gemälde betrachtet wurde.
10 Uhr, Kaffeepause. Oxana wartete. Sie wollte trinken, hatte die Hand schon an der Tasse gehabt, doch dann war ihr die Hand abhandengekommen, gehörte und gehorchte ihr nicht mehr. Nur noch das Gehör funktionierte. Es lauschte, wie Marxer sein Zimmer durchmaß, ein Trampeltier, das laut fluchte. Sonja Weber schlief noch immer. Tat sonst nichts. Niemand tat etwas, von Marxer abgesehen, aber auch das war nicht viel.
Gut so. Alles einfrieren. Der Autor hat ein massives Problem mit der Handlung. Da liegt eine alte Frau im Bett, zwei Killer bedrohen sie, der eine hält ihre Hand, der andere serviert Frühstück. Eine Waffe ist im Spiel. Das ist dramaturgisch ein gefundenes Fressen, die Nerven der werten Leserschaft sind flitzebogensehnengespannt, die des Autors hingegen so dünn wie seine Haare. Er hat, noch einmal, ein massives Problem.
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Dass der Autor ein Problem hat, sein Personal einfach eingefroren ist und die Handlung nicht mehr weitertransportiert, daran ist allein die Leserin, der Leser schuld. Die Literatur wäre der reinste Spaß, wenn nur die Leserschaft nicht wäre, diese spannungsgeile Meute, die dann, wenn es zu spannend wird, zu nölen beginnt. Eine alte Frau soll ermordet werden! Eine Sympathieträgerin! Darf nicht sein! Andere hingegen mutmaßen, das sei doch alles nur heiße Autorenluft, der Schreiberling werde es nicht wagen, die nette Irmi mit einem »Plopp« aus der Story zu befördern, wo doch der Eierlikör so etwas wie der rote Faden ist, der die Geschichte zusammenhält, nein, eigentlich die gelbe Pampe, die alles zu einer sinnhaften Handlung verklebt – oops, sofort aufhören mit diesem Satz, er wird zu lang und die Rezensentin der »Saarbrücker Zeitung« wird wieder überfordert sein.
Der Autor tigert durch sein Arbeitszimmer. Müsste auch mal wieder aufgeräumt werden. Sieht hier aus wie im Kopf des Schmierfinks, wo die Ideen umeinander liegen wie dreckige Socken, leere Pizzaverpackungen, Zettelchen mit Zitaten aus anderer Leute Bücher, die bald Zitate aus den Büchern des Autors werden sollen, scheiß aufs Plagiat. Er verlässt den Raum, betritt die Küche, in der Oxana starr vor ihrem Kaffee sitzt, die Hand schon an der Tasse. Oxana ist aus Stein, scheint es, der Autor streichelt ihr zärtlich und in lauterer Absicht über das lange schwarze Haar. Sein Geschöpf. Eine lesbische Kasachin, so etwas gab es noch nicht in der Kriminalliteratur. Soll ihm erst mal einer nachmachen. Recht mysteriös, woher kennt sie diese Vika? Das fragt sich pikanterwei se der Autor jetzt auch, er weiß es nämlich noch nicht. Vika, die ebenfalls versteinert (»petrifiziert?« Der Autor kaut das Wort gedankenverloren durch, nein, »versteinert« ist besser, sonst kommt wieder einer mit dem Fremdwörterduden und greint) vor einer dubiosen bretonischen Firma herumwartet, weil vor dieser dubiosen bretonischen Firma Herr Moritz Klein herumwartet und auch nicht weiß, warum, so wenig wie irgendein Mensch auf diesem Planeten, der Autor inklusive, irgend eine Ahnung hat, wie das noch weitergehen soll. Klein denkt an Hermine (immer das Beste, das macht den Kerl bei den Leserinnen sympathisch), die in einem Aufenthaltsraum von ALDI herumwartet und auch nicht weiß, wie es weitergehen soll. Irmi sterben lassen oder nicht? Was meinst du, Leserin, Leser? Schweigen. Wenn man sie mal braucht, sind sie natürlich nicht da, die Herrschaften, hängen irgendwo ab, backen Kuchen, bearbeiten Akten, shoppen oder warten auf den nächsten Superthriller aus der Feder von Herrn, Frau XY.
So, sagt der Autor, und geht zurück an seinen Arbeitsplatz. Hilft ja alles nichts. Für das Denken wird man in diesem Beruf nicht bezahlt, nur für das Schreiben – und beides hat erschreckend wenig miteinander zu tun. Als erste löst er Hermine aus ihrer Erstarrung,
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