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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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war tot, nicht einmal die Mailbox. Sonjas Handy: dito. Die Alte, Irmi: nichts. Borsig, Hermine: auch nichts. Vika? Kannte er nicht, nahm ebenfalls nicht ab. In dieser Kneipe: Er hätte es vorhersagen können, auch hier keine Sau. Er lachte wieder! Alle in Lebensgefahr, was? Der multiple Cliffhanger!
    Okay, dann eben nicht. War halt Phantasie gefragt. Jeder Idiot konnte einen Krimi mit einem Cliffhanger beenden, ER, Marxer, jedoch würde den seinen mit einem beginnen! Und was für einem! Sämtliche Sympathieträger seines Fortsetzungskrimis wären von der ersten Zeile an in akuter Lebensgefahr, da gruselt sich die Leserin gar fürchterlich und kann den SPIEGEL nicht mehr aus der Hand legen, das Essen für den Herrn Gemahl brennt an, der Ehekrach ist unausweichlich, die feurige Versöhnung auch – und neun Monate später gibt es in Deutschland einen Babyboom. Er grinste das Worddokument an, das grinste zurück. Grins du nur, dachte Marxer. Meinst wohl, ich schreib hier nen ordinären Brief oder was. Nee, hier gibt’s gleich Kriminalliteratur vom Feinsten, richtig Kolportage, astreiner Schund, damit wischen sich die Herren und Damen Kritikaster nicht einmal die Allerwertesten ab. Also – wie anfangen? Marxer überlegte kurz. Vielleicht so? »Moritz Klein« (unbedingt nen vernünftigen Namen überlegen) »hockte im Keller und war verzweifelt. Gab es keine Rettung? Er sah Borsig an, der neben ihm hockte und ebenfalls verzweifelt war. Katharina heulte. Sie hatte keine Ahnung, wie das hier enden würde.«

251
    Marxer war eingeschlafen. Er träumte, vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen, in der guten alten Zeit, als man beim Wort »digital« noch an »Stu baital« dachte, als alles noch »analog« war und in Sätzen wie »Anna log, dass sich die Balken bogen« vorkam, Sätzen, die auf Papier standen und aus trostlosen weißen Wüsten tintenblaue Oasen machten. Oder eben nicht.
    Marxer erwachte und sein erster Blick wurde an die leere weiße Fläche des Bildschirms vergeudet. Er hatte nichts geschrieben. Was auch. Keine Idee, kein Plan. Es musste etwas geschehen. Marxer konzentrierte sich. Betete, nein, flehte zum Krimigott: Herr, gib mir eine Eingebung, hör endlich auf, schnödes Manna vom Himmel zu werfen, ich habe schon gefrühstückt. Schick einen Geistesblitz, entfache ein Gewitter der guten Einfälle, zeige dich großzügig. Ich muss gerade an eine Insel denken, Inseln sind immer geil, krimimäßig, exotische Inseln, überschaubar, es gibt kein Entkommen. Aber bitte keine norwegische, Herr. Demütige mich nicht, indem du mir eingibst, ich solle etwas über irregeleitete Idioten schreiben, du weißt doch selber, wie viele gerade an den Computern sitzen und den großen Wurf raushauen, »Amok am Polarkreis« oder so, auf dass die Krimirezensenten wieder von »Realitätshaltigkeit« fantern können. Mein Gott, bin ich denn ein Journalist? Sehne ich mich etwa nach Schlagzeilen? Haben die sowieso nicht ihren eigenen Gott, den Gott der von keiner Ahnung getrübten Meinung, so wie all die Dutzendkrimischreiber zu einem speziellen Gott beten, dem Gott der sprachfernen Versatzstücke? Und jetzt sag bitte nicht, DU seist dieser Gott und ICH nur einer von diesen... Nein, Herr, gib mir endlich ein Zeichen, wenigstens das. Du könntest zum Beispiel...
    Das Telefon klingelte. Marxer puhte gegen den Bildschirm. Danke, lieber Gott und enttäusche mich jetzt nicht, von wegen sorry, leider verwählt oder so, sonst suche ich mir einen anderen Gott. Er nahm den Hörer ab und sagte »Ja«. Eine weibliche Stimme sagte ebenfalls »Ja« und fügte – es war eben eine Frau beim Telefonieren – ein Satzzeichen hinzu, ein «?«. Marxer wiederholte »Ja« und «?«, höflichkeitshalber noch ein »Bitte?«, man konnte ja nie wissen. Vielleicht war Gott persönlich in der Leitung und Gott war eine Frau.
    »Wer sind Sie?«, fragte die jetzt. »Wen haben Sie denn angerufen?« Das Ganze, soviel schwante Marxer sofort, konnte sich zu einem jener üblen, völlig sinnlosen Telefongespräche ausbreiten, die ein Mensch, der mit sei ner Zeit besseres zu tun hat, hassen muss. »Dann sind Sie wahrscheinlich Herr Marxer, ja?« Endlich etwas Konkretes. »Der bin ich.« Die Frau lachte. »Oh, entschuldigen Sie. Ich wollte mit Oxana sprechen, aber sie geht nicht an ihr Handy. Ist sie zufällig da? Vika hier.«
    Der Name hatte in Oxanas Notizbuch gestanden. Vika. Klang nicht schlecht. Weder der Name noch die Stimme. Marxer lachte kurz und artig zurück.

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