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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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jenseits der Siebzig, immer noch adrett, nicht aus der Form geraten. Leicht schütteres weißes Haar, gepflegt. »Woher sprechen Sie so gut Deutsch?« Er verneigte sich wieder, geschmeichelt. »Ist nicht so gut. Ich war Deutschlehrer. Nicht hier, auf dem Festland.« Er meinte Großbritannien. »Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Daniel Oliver. Sind Sie schon lange auf unserer Insel?« Vika sagte ihren Namen, nein, gerade erst angekommen. »Oh«, sagte Oliver, »und gleich besuchen Sie einen Friedhof?« Aber er wolle nicht allzu neugierig sein. Nein, nein. Vika winkte ab. Ging schon in Ordnung. Jetzt war es an der Zeit, ihre kleine Geschichte zu erzählen, die Legende, die sie sich auf der Überfahrt zurechtgelegt hatte.

253
    Ein Friedhof auf Jersey? Alte Leute? Marxer, der, während Vika ihre Geschichte erzählt hatte, zur bequemen Couch gewechselt war, dort halb liegend, halb sitzend, einen Notizblock auf dem Schoß, den Ereignissen lauschte, Marxer also (der für seine wirren Schachtelsätze gefürchtete Kriminalschriftsteller) versuchte Vikas Plan zu erraten. Friedhof, älterer Mann. Es musste um etwas aus der Vergangenheit gehen, um eine Auskunft – der Botenjunge Le Pernac! Der mit den Aufzeichnungen des Grafen Strontium nach Jersey geflüchtet war, damals, nachdem der Protagonist der geldlosen Gesellschaft und seine wissenschaftlichen Mitarbeiter verhaftet und hingerichtet worden waren.
    »Genau«, sagte Vika jetzt, »ich stellte mich dem freundlichen Herrn Oliver als Forscherin vor, die ein Buch über das Phänomen der verschwundenen Schätze schreibt, Bernsteinzimmer, Piratengold, all das eben – und ältere Leute von der Insel wissen vielleicht mehr darüber. Ich hatte Glück. Großes Glück.«
    Der alte Herr Oliver lächelte. Le Pernac, ah ja. Sie schlenderten inzwischen über den Friedhof, das Wetter war erträglich, für die Jahreszeit warm, was am Golfstrom liegen musste, Vika hörte den Atem Olivers, keine Kurzatmigkeit, gleichmäßiges Ein und Aus durch den Mund, es beruhigte sie. »Victor Le Pernac, der war damals 17. Kam – warten Sie – es muss 1791 gewesen sein – nach Jersey, ein Flüchtling unter vielen, hübscher Junge wohl, das Arbeiten gewöhnt. Wissen Sie, liebe Vika – Sie gestatten mir, dass ich Sie Vika nenne? Vielen Dank. – Jerseys Menschen lebten damals von der See und die See forderte ihren Tribut, sie verschlang die jungen Fischer, gab sie nicht mehr heraus – in vielen dieser Gräber liegen auch keine Toten, es sind nur Erinnerungssteine – und so gab es hier immer einen großen Bedarf an maritimem Nachwuchs, wenn ich so sagen darf. Le Pernac also verdiente sein Brot fortan als Fischer, er konnte arbeiten und hatte das Glück, dass ihn die Meeresgötter verschmäh ten. Mitte Zwanzig geworden, heiratete er eine wohlhabende Witwe, sie hieß Escalier, auch ihr hatte die See den Mann genommen, sie war schon Mitte Vierzig, aber noch ganz ansehnlich.«
    Dort wo sie jetzt waren, hatten viele Steine keine Inschriften mehr oder diese Inschriften waren verwittert, kaum noch zu entziffern. Oliver fuhr fort: »Über die Schriften des Grafen Strontium, die Le Pernac mit auf die Insel gebracht haben sollte, wurde nicht geredet. Man hat sich auch nicht dafür interessiert. Erst um 1820 herum tauchten Männer auf, fragten nach Le Pernac, der schon längst seine eigenen Kutter besaß und nicht mehr selbst hinausfuhr, ein Geschäftsmann, ging auf die Fünfzig zu, seine Frau war gestorben, keine Kinder, er hatte ein zweites Mal geheiratet, diesmal eine sehr viel jüngere Frau, von dieser zwei Kinder bekommen, einen Jungen und ein Mädchen. Die Papiere? Da wurde Le Pernac unwirsch. Er wisse nicht, wovon die Besucher redeten. Er sei nur ein Bote gewesen, nicht wirklich involviert in das, was da ausgeheckt wurde. Und geldlos? Haha, man sehe sich doch um! Er, Victor, liebe das Geld! Es half ihm wenig, man glaubte ihm nicht.«
    Oliver ergriff Vikas Arm, »hier«, sagte er, drehte sie einem Stein zu. Sie las: »Victor Le Pernac, 1774 – 1849, Emilie Le Pernac 1753 – 1815«, man konnte es noch gut lesen, irgendjemand schien sich um den Stein zu kümmern. »Da liegt er also«, sagte Oliver und lächelte, »er hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen – und einmal, es war gegen Ende des 19. Jahrhunderts, glaubte jemand wohl, er habe es buchstäblich mit ins Grab genommen. Man fand das Grab geschändet, den Sarg zertrümmert, wer dafür verantwortlich war, kam nie heraus.«
    »Oh«, machte Vika.

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