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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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»Und die Nachkommen Le Pernacs?« Oliver schüttelte den Kopf. »Die halten sich bis heute bedeckt. Sie bekommen wohl immer noch Anfragen, sie sind höflich und beantworten sie. Keine Papiere, nirgendwo, das alles ein Gerücht, eine Legende, ein Wahn wie das Bernsteinzimmer, die Piratenschätze. Sie sehen also, ich muss Sie leider enttäuschen, man wird Ihnen nicht sehr viel mehr Informationen geben können als Sie von mir bekommen haben.«

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    »Hm«, sagte Marxer, »das ist aber wenig. Ein Spur, die ins Nichts führt.« Sofort notieren, dachte er. »Die Spur führt ins Nichts«, auf solche Titel steht das Volk. Er saß jetzt bequem im guten alten Ohrensessel, hatte sich das Headset geschnappt, von dem einige fanatische Sprachreiniger behaupteten, es sei ein Telefonierfreisprechwerkzeug, machte sich noch immer Notizen und stellte sich vor, wie diese Vika wohl aussah. Ganz interessant, war Marxer überzeugt.
    »Na ja«, sagte Vika, »Mister Oliver hat mich auf einen Kaffee eingeladen – nicht falsch verstehen, er ist ein Gentleman, ein allerliebstes Örtchen mit alten Damen, die Tee tranken und dieses fürchterliche englische Gebäck aßen und die Bedienung konnte kaum mehr laufen, so betagt war dort alles. Wir redeten über dies und das, ich musste einiges erfinden und dabei aufpassen, mich nicht zu verraten, denn Oliver ist ein hochgebildeter Mann.« Er habe in den Sechziger Jahren Germanistik in Kassel studiert – Kassel! Die Zeit der Sozialutopien, Mao galt als visionärer Denker, sogar in Kassel, wo über die Möglichkeiten einer Gesellschaft diskutiert worden sei, die ohne das Joch des Geldes und seiner beständigen Vermehrung glücklich sein müsste. »Sehen Sie, liebe Vika, heutzutage lachen wir drüber. Wir, die wir uns das Leben doch nicht mehr ohne Börsen und Hedgefonds, ohne Gehaltserhöhung und Eurokrise vorstellen können. Geld? Das braucht man doch! Ist doch was Gutes! Wo die Geldwirtschaft nicht funktioniert, herrscht Anarchie, wo Anarchie regiert – sehen Sie nur nach Somalia – da hungern die Menschen. Aber vielleicht hungern sie nur deshalb, WEIL es Geld gibt? Und drüben in good old England randalieren sie für Flachbildschirme.«
    Er nahm einen kräftigen Schluck – der Kaffee war angesichts der Tatsache, dass er beinahe in England eingenommen wurde, erstaunlich gut – und stellte die Tasse vorsichtig wieder ab. »In der Literatur werden geldlose Gesellschaften immer wieder erwähnt, wenn auch entweder in eher fantastischen Texten oder Science-Fiction-Romanen. Arno Schmidts »Tina oder Über die Unsterblichkeit« beispielsweise. Dort gerät der Erzähler in die Unterwelt, wo die Verstorbenen darauf warten, endlich erlöst zu werden und ins Nirwana einzugehen. Dies kann nur geschehen, wenn sämtliche schriftlichen Spuren, die sie auf der Erde hinterlassen haben, von dieser getilgt sind. Ihre Bücher verrottet, ihre Gedanken vergessen. Bis das geschieht – und bei Goethe oder Shakespeare wird es vielleicht nie geschehen – vegetieren sie vor sich hin. Ihre Bedürfnisse – sie müssen tatsächlich essen! – befriedigen sie mit sogenannten »Promessen«, also Versprechungen, die an Geldesstatt im Umlauf sind. Man bekommt sie monatlich zugeteilt und gibt sie aus wie Geld, aber es ist eben kein richtiges Geld. Ähnlich scheint es in Isaac Asimovs »Die Stahlhöhlen« zu funktionieren, einem Science-Fiction-Krimi aus dem 30. Jahrhundert. Die Menschheit lebt in gigantischen Citys, überdachten Städten ohne Verbindung zur Natur, vor der man sogar Angst hat. Alles ist reglementiert, alles wird zugeteilt, Geld ist unbekannt. Aber das, was Geld ausmacht – den gesellschaftlichen Status – kennt man auch dort noch. Sie sehen also: Selbst die brillantesten Gehirne vermochten sich eine wahrhaft geldlose Gesellschaft nicht wirklich vorzustellen.«
    Sie verabschiedeten sich schließlich, nachdem Oliver Vika noch den Weg zu ihrem Hotel erklärt hatte, einem reizenden Anwesen über der Stadt, wo sie auf ihrem Zimmer eine Gelegenheit vorfand, sich Tee zu kochen, wo wenige Schritte genügten, durch Wäldchen und Wiesen zu wandern. Was sollte sie hier eigentlich noch? Sie glaubte Oliver. Es wäre sinnlos, die Nachkommenschaft Le Pernacs aufzusuchen, man würde ihr dort nicht weiterhelfen können – oder nicht weiterhelfen wollen? Sie würde sich die Insel ein wenig ansehen, durch St. Helier bummeln, morgen abreisen, über die Normandie, über Paris zurück nach Deutschland.
    Oxana anrufen. Aber das

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