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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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noch einmal, die vereinfachte Version in Schlichtdeutsch für Journalisten. Perschau machte sich Notizen auf dem Bierdeckel und zwischendurch obligatorische »Hört, Hört«. »Das ist ja fast so heftig wie der Skandal mit der Katzenberger. Du kennst die Katzenberger?« Ich kannte sie nicht. »Die mit den Möpsen, ey! Und da soll der rechte kleiner sein als der linke, Pfusch beim Operieren, tz, also wie schräg ist das denn!«
    Es war aussichtslos. In meiner Verzweiflung erfand ich Reime mit Politikernamen – Klaus Wowereit ist abends breit, Renate Künast lacht nen Ast und Katja Kipping macht gern Petting – »Wer ist Katja Kipping?«, fragte Perschau, doch die Antwort interessierte ihn schon nicht mehr. Ich zahlte meine Zeche und verließ den ollen Paule, der mir ein »Nächstes Mal aber mit Trinkgeld, bitte!« nachrief, meine Beine waren schwer, die Wolken am Himmel bedrohlich, ich kaufte eine Brezel, die so schlaff war wie die Möpse von dieser Katzenberger, wenn ich das richtig verstanden hatte, leistete mir eine Currywurst, aß sie im Gehen, rempelte Leute an, wurde von Leuten angerempelt, eine Jungschauspielerin mit Kussauftrag war nicht darunter, wenigstens eine Spur von Glück.
    Was konnte ich noch tun? Mich an eine knallbunte Boulevardzeitung wenden, »Bei Elfensexorgien wird unser Geld gefickt«, so las ich schon die Schlagzeile. Mich in eine der unzähligen Fernsehtalkshows einschleichen, mit gezogenem Revolver auf die Bühne springen und das Wort ergreifen, bis man es mir – »Unsere Sendezeit ist leider abgelaufen« – wieder entzog? Oder ganz einfach resignieren, sofort zur Bank und mein bisschen Geld abheben, in Sach werte investieren – ich brauchte eine neue Kaffeemaschine – und allen anderen Beteiligten raten, es ebenfalls zu tun? Danach ein Loch im Wald buddeln, Plastiktüte übern Kopp ziehen, ins Loch setzen und abwarten? Oder alles vergessen, mir vorsagen, die da oben wüssten schon, was sie tun, es sei halt schwer alles, schier aussichtslos, besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen?
    Ich stellte mir vor, wie das, was gerade in der Welt geschah, nichts weiter sei als eine große Tragödie, die auf verschiedenen Bühnen parallel zueinander inszeniert wurde, wo nichts synchronisiert war, aber alles ineinander griff und sich gegenseitig beeinflusste, wo die dramatischen Bögen ein Eigenleben führten und machten was sie wollten. Es gab die Bühne der Finanzpolitik, des Neoliberalismus, der Staatsverlotterung, der politischen Agonie und, ja, auch die gab es, die Bühne des ganz normalen täglichen Lebens, auf der ein Schurkenstück gespielt wurde, es gab sogar die Bühne der Wut und Entrüstung, wo sich in Griechenland und Spanien die Menschen empörten und in Großbritannien Läden abfackelten, um Flach bildfernseher zu stehlen. Es gab keinen Regisseur, aber jemand musste es machen, die Politiker, heillos überfordert, die Spekulanten, heillos happy, weil sie schalten und walten konnten, wie sie wollten. Und es gab »das Volk«, das sich von Schauspielerinnen die Zunge in den Rachen stecken ließ, »Lafontaine lebt im Holozän« reimte, Currywürste fraß und durch die Städte hastete, um 100 Gramm Leberwurstschnäppchen zu machen. Und es gab mich, der ich all das wusste, der ich verzweifelte, der ich den Mut verlor, der ich nach Hause ging, den Fernseher einschaltete und sofort wieder aus, weil gerade die unvermeidliche Talkshow zum Thema »Pro und Contra Patchworkfamilie« lief, während...
    Nein, komm wieder runter, Moritz. Ich rief bei Oxana an, die meldete sich sehr aufgeräumt, machte »oh« und »ach« und »scheiße«, als ich ihr von meinem Versuch erzählte, den ganzen Kasus öffentlich zu machen. »Hast gesehen? Auf Island tanzt man jetzt auch und auf Jersey hört man gar nicht mehr auf, ich hab grad wieder mit Vika telefoniert, die war ja dabei und hat mitgemacht. Interessante Sache.« Ich streckte mich auf meinem Lager und gähnte. »Erzähl«, sagte ich. Und Oxana begann zu erzählen.

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    Tanzen kann man nur, wenn man gute Füße hat. Vika besaß sie spürbar nicht. Wohl hatte sie sich in eine Art milder Trance bewegt, nicht genug, um über heiße Kohlen zu gehen, wie man das in Dokumentarfilmen manchmal sah, wenn die Bewegungen des Körpers das Schmerzzentrum im Gehirn ausschalteten. Aber ein klein wenig Watte steckte schon da oben drin und machte den Schmerz erträglich. So schien es auch den anderen zu ergehen, die mit Vika durch die Straßen von St. Helier

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