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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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können und jedes einzelne Mal hätte sich ein Mensch gemeldet, eine Institution, ein Kartell von Gutmenschen oder Bös menschen – und ich hätte ihnen sagen können: Achtung, Sie bomben euch gerade in die Steinzeit zurück. Die meisten hätten mich für verrückt gehalten, wenige nur mir geglaubt, einige gesagt: Ja, okay, wissen wir längst, wir sind ja dran beteiligt, wir sind die Drahtzieher, die Profiteure und gib mal deine Adresse, damit wir dich zum Schweigen bringen.
    Mein gescheiterter Versuch, den ganzen Kasus publik zu machen hatte mich gelehrt, dass die Menschheit an ihrem künftigen Schicksal nicht in teressiert war. Noch nie gewesen war, dämmerte es mir. Vielleicht hatten sie auch Recht. Man kommt am schnellsten an, wenn man sich treiben lässt, wenn das Boot, in dem man sitzt, keine Ruder hat. Ruder sind keine Garantie, den Weg, den man fahren möchte, selbst bestimmen zu können. Keine Garantie, heil am Ziel anzukommen. Nicht vorher an einer Klippe zu zerschellen, in den Strom zu stürzen und zu ertrinken. Ende metaphysisch-philosophische Anwandlung, Ende Blick zum Telefon. Denn gerade als ich den Blick abwandte, um mich in die nikotingraue Landschaft meiner Zimmerwände zu vertiefen, klingelte der lindgrüne, hoffnungslos altmodische Kasten, sogar die Wählscheibe – ja, liebe Jugend, früher gab es einmal Telefone mit Wählscheibe – vibrierte.
    »Sie kennen mich nicht«, sagte die Stimme, und ich konnte ihr nur beipflichten. »Fragen Sie mich nicht, wie ich Ihre Telefonnummer rausgekriegt hab.« Genau das fragte ich mich gerade. »Ich war wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort.« Konnte ich im Moment schwer beurteilen. »Beim ollen Paule, Sie wissen schon, Sie waren ja auch dort mit diesem Schmierlappen von Journalist.« Dem hatte ich nichts zu erwidern, stimmte alles. »Ich hab am Nebentisch gesessen und Ihr Gespräch mit angehört.« Jetzt hellte sich das Dunkel ein wenig auf, wie man so sagt. »Natürlich unbeabsichtigt«, setzte die Stimme hinzu. Und schwieg dann. Es war an mir, etwas zu sagen.
    »Wie heißen Sie? Was wollen Sie?« Zwei Fragen auf einmal, das musste ihn überfordern. Tat es aber nicht. »Mein Name ist Günther – mit th – Rath – mit th. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Über... die SACHE.«

287
    Wir hatten uns für den frühen Abend an der Verkaufstheke der Bäckerei Siebenlist im Hauptbahnhof verabredet, ein ungewöhnlicher Ort, aber was war schon gewöhnlich in diesen Tagen? Wie ich ihn erkenne? »Ich erkenne Sie«, kam die Antwort, »kommen Sie einfach an die Theke.«
    Ich stromerte durch die erdunkelnde Stadt, in der noch immer Teile der Weihnachtsbeleuchtung dafür sorgten, dass es nicht richtig dunkel wurde. Sah hoch in den klaren schwarzen Himmel, der mit Kälte nach den Lich tern unter ihm warf. Bahnhöfe an Winterabenden, das sind quietschgelbe Feenpaläste, durch die es ameiselt und singsangt, Orte, an denen man sich geborgen fühlt, weil sie sich nicht um einen kümmern. Besonders die Teigtheke der Bäckerei Siebenlist hat mich schon immer magisch angezogen, ihre Düfte sind Finger, die mich am Schlawittchen packen und zu sich heranziehen, mir den Geldbeutel aus dem Hosensack angeln, ihn öffnen und einen Zehner entnehmen, den sie jovialerweise in Backwerk aller Art umtauschen. So ergeht es nicht nur mir.
    Auch heute Abend drängten sich die Verführten in Zweierreihen vor dem gläsernen Sarg der Plunderstückchen, Schokowecken, der zwischen Brötchenhälften gepressten Wiener Schnitzel und Salatblätter, der Bio-Roggen-Vollkorn-Wellness-Brote und süß bestäubten Blätterteigskulpturen. Ich stellte mich gut sichtbar in die Nähe der Kasse, schaute selbst in die Gesichter der Kunden, darunter war allerdings keines, das dem Bild entsprach, das ich mir von Günther Rath mit doppeltem th machte. Schon etwas älter, eher klein als groß, eher dünn als dick, eher grob- als feingliedrig, eher Glatze als ergrauter Haarzopf. Aber niemand entsprach diesem Bild, die meisten der Wartenden waren meilenwert davon entfernt, überhaupt Günther zu heißen, es war ein Ansturm von sehr viel Jungvolk der Kevin- und Chantal-Klasse, dazu sich für die Zugheimfahrt verproviantierende Sekretärinnen, die alle Nicole heißen konnten, und Bankangestellte mit Schlipsen, die unbezweifelbar auf Namen wie Maximilian und Rüdiger hörten – die Bankangestellten wie ihre Schlipse.
    Überhaupt: Dumme Idee. Was hatte ich mit diesem Rath zu tun, was ging ihn die Sache an,

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