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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Käppi und dem Nichts darunter. Wenn ich jetzt in die FDP einträte, dachte Kriesling-Schönefärb, würde ich auch sofort Minister oder wenigstens Staatssekretär.
    Er fühlte sich unbehaglich, unbehaglicher als sonst. Suchte in seiner Aktentasche nach den Notizen, die er sich auf dem Rückflug gemacht hatte, lauter hübsche Slogans zur Volksberuhigung. »Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Also Rettungsschirm.« Appellierte an die Blut-Schweiß-und-Tränen-Mentalität der Deutschen, war eine willkommene Gelegenheit, später sagen zu können, wie schwer man selbst es doch gehabt habe im Leben. »Ja, es wird regnen und wir werden den Schirm aufspannen. Aber es wird keine Überschwemmung geben!« Ein vielleicht zu kompliziertes Bild für deutsche Gehirne. Aber egal, vorschlagen würde man es können. Kriesling-Schönefärbs Favorit jedoch war »Wir sind Macher, also machen wir.« Ja! Kurz! Knapp! Zack! Keine Widerrede! Er warf dem Mann mit dem Käppi einen kurzen Seitenblick zu, nickte unmerklich. Ausrufezeichen, das wirkte immer. »Wir sind Macher! Also machen wir! Zack!« Das würde SIE in die Kameras sagen und genau das war das Problem, denn sie konnte keine Ausrufezeichen sagen. Das Ausrufezeichen ist die erigierte Form des einfachen Punktes, der Punkt in höchster Erregung, gewissermaßen, der Punkt vor dem Erguss. Hatte sie einfach nicht drauf. Fragezeichen konnte sie noch weniger. Fragezeichen sind Ausrufezeichen nach dem Höhepunkt, kurz bevor sie zur Normalgröße des Punktes einschrumpfen. Sie besaß kein Talent für so etwas. Sie würde es lernen müssen.
    Seine Kehle war trocken, das Wasser, das er trank, machte alles nur noch schlimmer. Langsam trudelten sie ein, sehr schweigsam heute, in sich versunken, die Augen der anderen meidend. Sie wissen es, durchfuhr es Kriesling-Schönefärb, sie wissen es. Oder ahnen es. Die Bundeskanzlerin kramte in ihrer Handtasche, zog eine Packung Tempos heraus, legte sie neben sich auf den Tisch. Hatte sie Schnupfen, eine Erkältung? Nichts davon gemerkt vorhin. Aber sie hatte auch nichts gesagt. Nur kurz genickt, kein Guten Morgen, kein... Als der Finanzminister in den Raum rollte, wurde es still. Er sah sich um, sein Blick streifte Kriesling-Schönefärb, kehrte zu ihm zurück, fixierte ihn, nagelte ihn an die Wand. Er weiß alles. Natürlich, was sonst.
    Das Kabinett war nun vollzählig, das übliche Rumoren ausgeblieben, die Stimmen, wenn überhaupt gesprochen wurde, weit unter dem Normalpegel. Die Kanzlerin sah zu ihrem Finanzminister, der nickte. Und tat, was er sonst nie getan hatte: Er ergriff das Wort, noch vor IHR. Ließ noch einmal seinen Blick wandern, verharrte bei Kriesling-Schönefärb, der zu schwitzen begonnen hatte. Dann begann der Finanzminister zu sprechen: »Ich schlage vor, dass Herr Kriesling-Schönefärb den Raum verlässt.« Er glaubte nicht richtig gehört zu haben. Alle Blicke waren jetzt auf ihn ge richtet. Er stand auf, wankte, zitterte, ein nasses Handtuch. Schob den Stuhl zurück, ging. Versuchte nicht zu stolpern.

286
    Ich kam reichlich deprimiert zu Hause an, kochte mir eine Kleinigkeit aus Nudeln und Soße und lernte, dass viele Köche vielleicht den Brei verderben, ein einziger schlecht gelaunter aber sogar Nudeln. Während ich aß, sah ich unverwandt aufs Telefon. Es war in diesem Augenblick die Außenwelt und es klingelte nicht. Apropos unverwandt: Ich hatte mir in meinem Frust am Bahnhof einen Krimi gekauft, der »Entfernte Verwandte« hieß und laut Klappentext beschrieb, wie ein Mann seine Schwester tötet, dafür ins Gefängnis geht und erst am Ende kommt heraus, es war gar nicht seine Schwester, sondern eine russische Geheimagentin und der Mann hat einen Atomkrieg verhindert, ein Held also. Das hatte mich irgendwie berührt. War ich nicht auch ein Held? Nein. Wollte ich einer sein? Nein. Gab es eine Möglichkeit, ein Nichtheld zu bleiben? Ebenfalls nein. Meine Laune besserte diese Erkenntnis nicht. Ich löffelte den letzten Rest Nudelbrei mit Soße, stellte den Teller in die Spüle und setzte mich neben das Telefon.
    Ich bekam meinen Metaphysischen, wie zu befürchten. Stellte mir vor, dass es, je länger ich das Telefon betrachtete und je störrischer es schwieg, am anderen Ende der Leitung umso heftiger rumorte. Anderes Ende der Leitung? Es gab Milliarden anderer Enden und keines davon war mit mir verbunden und ALLE waren es doch. Ein Netzwerk, eine Schicksalsgemeinschaft. Ich hätte jedes einzelne dieser Enden anrufen

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