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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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tanzten und vielleicht lag das ganze Geheimnis darin, dass man tanzen musste, sich bewegen, um die Kälte nicht zu spüren, gegen die das Nichts von Kleidung wehrlos war.
    Vika trug eine mit Elfenmotiven bedruckte lindgrüne Strumpfhose, darüber einen weiten Minirock, goldenes Glitzern der Sonnen und Planeten auf tiefschwarzem Hintergrund, über der Nacktheit des Bauches spannte sich etwas Hauchdünnes aus Tüll, über dem Gewölbe der Brüste ein roter BH. Ihre Füße steckten in Ballerinenschühchen, keine Socken, natürlich nicht. »Sieht gut aus«, hatte Mareike gesagt, als sie sich trennten. Mareike war eine der Vortänzerinnen, Vika ein bewegliches Objekt in der Masse, im Pulk wildfremder Menschen, die man sich als eine mit zwei zu multiplizierende Menge schmerzender Füße vorstellen musste.
    Noch schlimmer als den Füßen erging es indes den Ohren. In sie hinein kroch der blanke Kitsch, zu Tönen umgearbeiteter Kunsthonig, Frauen in langen schwarzen Abendkleidern, mit Fingern, die spinnenfüßig über das Gewebe von Harfen wandelten, Männer in Fracks und Fliege, Geigen wie Mordwaffen zwischen Kinn und Schulter. Vika bereute es, das von Mareike angebotene Ohropax verschmäht zu haben. Sie hatte nichts gegen gestrichene Musik, man sollte sowieso das meiste aus dem Repertoire streichen, nein, Scherz, sie schätzte das Symphonische, wenn es nicht synthetisch war und einfach nur sympathisch sein wollte, ein Picknick der Gehirnzellen, bei dem die sich gegenseitig schmatzend auffraßen. Ein Menschheitsbedürfnis, aber in diesen Augenblicken war Vika mit ihrem Verdacht, kein Mensch zu sein, höchst zufrieden.
    Jemand hatte ihr seine Hand auf den Rücken gelegt, unangenehm. Zu dieser Hand gehörte ein Gesicht hinter einer Maske, die stark an den Karneval in Venedig erinnerte, goldfarben, die Umrisse von Augen und Mund schwarz nachgezeichnet, der Mund seltsam grinsend. Noch unangenehmer. Ein Mann oder eine Frau, nicht zu erraten unter dem wallenden Gewand aus rotem, dickem Stoff, in den goldene und silberne Fäden gewirkt waren. Vika beschleunigte, tänzelte weg von dem Wesen mit der Maske. Dachte aber: Wenigstens das ist hier normal. Du wirst angemacht, eine gute Gelegenheit dazu, Fasching halt. Die Hand war nun abgeschüttelt, die Person aber folgte Vika, hob abermals den Arm. »Piss off«, zischte Vika, die Maske schrak zurück, der Mund unter dem grinsenden Mund würde nicht grinsen oder doch. Die Person ließ sich zurückfallen, nur ein wenig, zwei oder drei Meter. Mann? Frau? Immer noch nicht zu sagen. Vika konzentrierte sich auf das Tanzen und versuchte sich nicht auf die Musik zu konzentrieren. Trance. Die Billigversion. Nicht mitten im Strom, aber mitgerissen, doch immer Herrin über die Sinne. Die Füße. Die Ohren. Man gewöhnte sich an die Schmerzen, sie waren eben da.
    Und dann wieder die Hand auf dem Rücken. Die metallische Kälte der Maske an Vikas Wange, Vikas Ohr. »Don't be afraid, Darling. There's not always a Casanova behind a Venice mask.« Seltsam. Nicht einmal die Stimme verriet einem, ob Männlein oder Weiblein. Die Hand wanderte vom Rücken abwärts zur Taille. Ich muss mich nur leicht nach links drehen, dann das rechte Bein anwinkeln, hochziehen, noch etwas nach links drehen und schon gibt es bei dieser Person, wenn sie ein Mann ist, ab sofort Spiegelei zum Frühstück. Dachte Vika. Und tat es nicht. Vielleicht war es ja eine Frau. Na und?

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    Er hatte völlig vergessen, dass heute sein Geburtstag war. Machte die Arbeit, machte der Stress der letzten Tage, außerdem wurde er älter, auch ohne Geburtstag. Die Bundeskanzlerin hatte es auch vergessen, obwohl man sie doch sonst an alles erinnerte. Nicht einmal ein besonderer Händedruck, kein Blumenstrauß, natürlich nicht. Sondern – die Begrüßung ein wenig zu gleichgültig? Sah sie ihm dabei in die Augen? Nein, aber das hatte nichts zu bedeuten. Sie wirkte erschöpft. Er suchte nach Anzeichen dafür, dass sie irgendetwas WUSSTE.
    Ja, in Ordnung, das fragten sich viele in diesem Land. Manche hielten sie für die Personifizierung der Windkraft, weil sie sich pausenlos zu drehen schien, ohne indes wirklich Energie zu erzeugen. Manche dachten auch bei dieser Gelegenheit an die Windmühle des Don Quichote und freuten sich, dass wenigs tens der liberale Sancho Pansa langsam aus der traurigen Geschichte geschrie ben wurde. Mauritz Kriesling-Schönefärb schlich an seinen Platz, neben sich den Bundesentwicklungshilfeminister, den Mann mit dem

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