Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
egal. Nein, konnte nicht sein. Denn diese Straße hier kannte ich. Es war die Straße, in der Lothar Habdennamenvergessen wohnte.
Dass zwei Züge an einem Joint imstande gewesen waren, mich in eine Euphorie der Trunkenheit zu kicken, wunderte mich. Und doch auch wieder nicht. Wann hatte ich mein letztes Hascherlebnis gehabt? Muss 1972 gewesen sein, beim Misstrauensvotum der CDU gegen Willy Brandt. Mit einigen Kum pels hatte ich dem Spektakel vor dem Radio gelauscht, fest entschlossen, im Falle einer Entmachtung unseres Idols schwer Krawall zu schlagen und die Republik in Schutt und Asche zu legen. Na ja, wenigstens den Mülleimer von Herrn Döpfer, einem Rentner aus der Nachbarschaft, der ein »Franz-Josef Strauß Addict«-T-Shirt trug und Willy Brandt immer den »Herrn Frahm aus Norwegen« nannte.
Wie alle diplomierten Historiker wissen, kam es anders. Wir feierten den Tag mit einem Joint aus eigenen Beständen, 15 Gramm bester Schwarzer Afghane, die ich kurz zuvor auf einem Rockfestival bei einem GI gegen mein altes Kofferradio eingetauscht hatte. Selige Jugendzeit, wo bist du nur hin.
Ich näherte mich Lothars Wohnung, es brannte Licht, jedenfalls glaubte ich das. Oder spielte mir mein verwirrtes Bewusstsein doch einen Streich? Denn plötzlich öffnete sich die Tür des Hauses, ein Mann – doch, ein Mann, es konnte aber auch eine Frau gewesen sein – stürzte heraus, keine zehn Meter von mir entfernt, er oder sie sah kurz zu mir hin, so schnell, dass ich das Gesicht nicht erkennen konnte, dann rannte er oder sie über die Straße zu einem Auto, dessen Scheinwerfer aufblendeten. Zugleich begann der Motor zu röhren, der Mann oder die Frau verschwand im Inneren des Wagens.
Das konnte kaum Guido Westerwelle auf der Flucht vor seinen Parteifreunden sein. Der Wagen wurde aus der Parklücke gelenkt, der Motor heulte auf, die Reifen fassten mühsam Tritt, ein Monster mit glühenden Augen, das auf mich zukam. Stand ich auf der Straße? Auf dem Bürgersteig? Für den Fahrer des Wagens spielte das keine Rolle, er steuerte sein Fahrzeug auf mich zu. Meine Euphorie schwand schlagartig. Das hier war kein Kriminalroman, in dem der Protagonist nicht sterben darf, weil ihn der Autor durch eine ganze Serie schicken will. Ich würde sterben und ich tat, was man tun muss, wenn man zum baldigen Ableben verdammt ist, ich ließ den Film meines Lebens in einer Sekunde an mir vorbeiziehen, was immer noch genug war, um mich dabei gehörig zu langweilen. Dinge, die ich besser nicht getan hätte, Dinge, die ich gerne getan hatte, Dinge, die ich noch tun wollte. Zum Beispiel, fiel mir ein, mich sofort zur Seite werfen, in eine Schneewehe hinein etwa. Ich tat es. Mein Kopf verschwand in Nässe und Kälte, durch diese Watte hörte ich das Geräusch des Wagens angenehm gedämpft, ich hörte ihn sehr nahe, ich hörte ihn dann etwas entfernter, ich hörte ihn dann gar nicht mehr..
Aber ich lebte noch. Kramte mich mühselig aus der Schneewehe, kam auf die Beine und schaute zur Tür des Hauses hin. Sie stand offen. Bei Lothar brannte Licht, immer noch. Alles war ruhig. Ich klopfte mir den Schnee von den Kleidern und stakste auf die Tür zu.
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Treppen mag ich nicht. Das ist etwas für Karrieristen und solche, die es werden wollen, für Menschen, denen das Hochsteigen als quasi orgiasti sche Tätigkeit gleich nach der Gehaltserhöhung und dem Beischlaf kommt, in dieser Reihenfolge.
Also hätte ich weglaufen sollen, nicht durch die offene Haustür treten, um mich der gefährlichen Welt eines dunklen Treppenhauses zu überantworten. Es war sehr still. Kein Fernseher murmelte, kein Baby schrie sich in den Schlaf, keine Ehekrise wurde verbalisiert, nicht einmal die obligatorische Oma schleppte sich aus Inkontinenzgründen aufs Klo. Meine Füße ertasteten jede Stufe, denn das Licht wagte ich nicht anzuknipsen, so stieg ich höher und höher, bis mich die offene Tür zu Lothars Wohnung zur Feier des Tages mit einem Schwung Birnenlicht empfing und »komm nur rein, hinter der Tür wartet einer mit dem Totschläger auf dich« höhnte.
Super, dachte ich und schob die Tür mit dem Fuß ganz auf, bis die Klinke mit der Wand dahinter handgemein wurde, wie es einmal bei Wieland geheißen hat. Etwas riet mir, nichts mit den Händen anzufassen, wiewohl keine Behörde dieser Welt stolze Besitzerin meiner Fingerabdrücke war, aber die entsprechende Hand hätte ich dafür auch nicht ins Feuer gelegt. Erst einmal stehenbleiben, tief ein- und ausatmen, die
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