Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
trug, vergewaltigten Frauen im Ostkongo und gelangweilten Männern in Westdeutschland, die darauf schimpften, dass die deutsche Bahn fünf Minuten Verspätung hatte, fein verpackt in Wörtern wie »geil« und »in der Tat«, »das allerbesteste« und »ich finde das ja auch richtig, aber«.
» Abgespannt? Depressiv? Zu nichts mehr Lust? Machen Sie es wie Frau Schröder, kaufen Sie MEISTER POPPER, jetzt auch in der extralangen Weihnachtsedition.«
In einen Krimi hinein. Der Detektiv (er sah natürlich wesentlich besser aus als ich und hatte viel telegenere Dämonen durchs Dorf zu treiben) betritt die nächtliche Wohnung, bekommt eins über den Deez, wacht neben einer Leiche auf und schon ist die Polizei da und nimmt ihn hopps. »Es war alles ganz an ders!«, schreit er in die Kamera und vielleicht hat er ja Recht. Alles war ganz anders. Hatte ich wirklich die Leiche von Georg Weber gefunden oder doch nur seinen Personalausweis?
»ULTRAHYGIENA! Die Monatsbinde, die ihre Tage zum EVENT macht!«
Kein schickes Kombinieren jetzt, keine logischen Kunststückchen. Die medialen Hunde, die sich an mir erleichtert hatten, bekläfften mich nun, ich zähmte sie mit meiner Fernbedienung, ließ Schnipsel aus Telefonsexwerbung über mich ergehen, einen kettenrauchenden Exkanzler sowie einen französischen Historienfilm mit sehr viel Fechterei, ich sah in die Gesichter der herr lichsten Frauen und überlegte, welchen schweren Gegenstand man brauchen würde, aus diesen Gesichtern Brei zu machen. Mit Grauen fiel mir ein, dass es ja keinen Sendeschluss mehr gab. Alles würde so weiterlaufen, bis ans Ende meiner Tage.
39
Ich war vor dem Fernseher eingeschlafen, der, als ich erwachte, sein Frühstücksprogramm munter in die frisch gewaschene Welt hinaus müllte. Die Wirklichkeit kam zurück, ein schüchternes und sehr hässliches Mädchen, das Mitleid heischte. Verschwinde, baffte ich es an, doch wie alle schüchternen und sehr hässlichen Mädchen war es hartnäckig, weil es endlich einen Dummen gefunden hatte.
Gewiss war der Tote in Lothars Wohnung längst entdeckt worden. Ich hatte mich schnellstens entfernt, ohne das Licht auszuknipsen, die Tür zu schließen, Georg Webers Personalausweis steckte wieder in der Jackentasche des Erschlagenen, die Polizei dürfte Sonja aufgesucht, sie zu einer Identifikation geladen haben. Ich stellte mir das vor, es lief mir kalt über den Rücken, ich wusch mich fragmentarisch und wartete auf das Klingeln des Telefons.
Es klingelte auch, aber ich ging nicht ran. War aufgestanden und zum Fenster gegangen, und zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich über Gardinen verfügte, dunkelgraues oder doch nikotindunkelgelbes Gewebe, was mich sogar daran erinnerte, dass ich eine Waschmaschine besaß. Ich beobachtete die Schneewelt, die inzwischen Matschwelt, die parkenden Autos. Saß jemand in einem drin? Wartete? Auf mich? Das schüchterne und sehr hässliche Mädchen Wirklichkeit schmiegte sich an mich und zeigte den Rest seines Zahngebirges, blies mir seinen Mundgeruch entge gen und flüsterte erotisch: »Wenn dich gestern Nacht jemand erkannt hat oder dir gefolgt ist, dann wissen die jetzt wo du wohnst.« Die? Ach so, ach ja: DIE.
Abermals klingelte das Telefon und abermals ließ ich es zehn ungeduldige Male klingeln. Wenn DIE es waren? Nur um zu hören, ob ich da sei und sich ein Besuch lohne? Nein, ich sah Gespenster. Wahrscheinlich war es nur der nette Herr Lukaschenko aus Weißrussland, der mich zu einer Tasse Tee einladen wollte, damit wir einmal in aller Ruhe über die Situation der Menschenrechte in seinem Land reden konnten.
Mich fröstelte, was nur zum Teil an der Knausrigkeit meines Vermieters bei der Heizölbeschaffung lag. Sollte das Telefon noch einmal klingeln, ginge ich ran. Ein Feigling bin ich noch nie gewesen. Das Telefon klingelte und ich ging nicht ran. Es war wie das Läuten einer Alarmglocke. Ich beobachtete die Welt durch den Schmutz der Gardine, der Fernseher plärrte immer noch im Hintergrund, kündigte Tauwetter an, als wären wir in Prag 1968, das Telefon klingelte erneut und endlich nahm ich den Hörer ab, sagte »Ja«.
Ein heftiges Schnaufen am anderen Ende der Leitung. Ich sagte noch einmal »Ja«, das angepeilte Fragezeichen wollte mir nicht gelingen. Wieder dieses Stöhnen. War dies das berühmte Stalking, von dem man so oft hörte? Es klang wie das fordernde Atmen einer Frau, jedenfalls kam es mir so vor. Es würde mir nichts ausmachen, von aufregenden Frauen
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