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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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bin Moslem und huldige dem Ganzjahresramadan.“ Atze nickte dieses überraschende Glaubensbekenntnis tolerant mit einem „Na, wenn’s nicht wehtut“ ab und setzte seine Sinnesfolter fort.
    Ouzo – Akropolis. Und nun? Nichts und nun. Ich beschloss, das Gespräch fließen zu lassen wie Blut, anstatt eine Blutschneise zu schlagen (Ist „Blutschneise“ nicht der Titel des neuen Krimis von Guido Rohm? Oder wie komme ich jetzt sonst auf dieses seltene Wort?). Nur: Damit das Gespräch floss, musste es zunächst einmal begonnen werden. Atze nahm mir die Arbeit des Anfangs ab.
    „Bist eigentlich noch mit Babette zusammen?“ – und schlagartig fiel mir ein, woher wir uns kannten. Babette! Die etwas verklemmte Oberstudienrätin, die ich vor Stücker sieben Jahren vorübergehend entklemmt hatte. Dabei war ich notgedrungen in Babettes Freundes- und Kollegenkreis geraten, ein schauriges Milieu aus Pensionsansprüchen und theoretischer Anarchie, Bausparvertragsdisputen und Bakunin-Lektüre, akkurat gebügelten Schlipsen und kokottenhaft geschlamperten Miedern, Selbstzweifeln und Generalzweifeln – kurzum: arriviertes Bildungsbürgertum mit einer Sehnsucht nach dem von Trieben gesteuerten Leben eines von den Zwängen ausgebeuteten Subproletariats.
    Am Rande dieses Kreises hatte ER gestanden: ein adretter, blasser Mann, Finanzbeamter, das Abitur auf dem zweiten, dritten oder vierten Bildungsweg, in die so souverän linksintellektuelle Babette verliebt, die aber mich liebte oder jedenfalls die Person, von der sie fälschlicherweise annahm, sie sei noch unverfälschte Unterschicht. Hans-Werner. Jetzt Atze oder Ouzo. Hätte ich gerade ein Stück Gyros im Mund gehabt, es wäre mir vor Schockiertheit oder Überraschung aus demselben geplumpst.
    „Hans-Werner?“ Atze / Ouzo grinste nur. „Gelt, jetzt bist draufgekommen. Ja, bin ich. Aber seit vier Jahren nicht mehr beim Finanzamt, sondern mein eigener Herr. Befreiung von den eigenen Fesseln, nennt man das. Also was ist mit Babette?“
    Ja, was war mit Babette? Keine Ahnung. Wir hatten uns ein Jahr lang geliebt, bis sie mit einigen Kolleginnen zum Abschlaffen nach Jamaika gedüst und von dort mit Roger zurückgekommen war, einem Dritte-Welt-Naturburschen und Sexdienstleister. Ich hatte das schulterzuckend akzeptiert, froh, Babette und den ihren zu entkommen. Wie es mit ihr weitergegangen war, wusste ich nicht.
    „So, so“, nickte Ouzo. „Is wohl tempo passato, wie die Papiertaschentücherhersteller sagen. Die ganze bürgerliche Alternativscheiße.“ Dem konnte ich nur zustimmen. Alles irgendwie passato, „Kumpel von mir auch, wohnt zufällig hier gegenüber, der Rath Günther. Kennst den?“ Da brauchte Ouzo nicht lange zu überlegen. „Zettelgünni? Na logo. Dem sein Kopfschreibtisch is jetzt endgültig aufgeräumt, musste ja so kommen.“ Ach so? „Ja, also ich meine: Zu neugierig ist ungesund – oder etwa nicht? Wobei er ja nicht wollte, er musste halt. Immer die Lauscher irgendwo reinstecken, da konntest mit dem sein wo du wolltest, er hat alles gehört, was zu hören war, ok, macht jeder, aber diese Verknüpfungen. Nicht normal so was. Stell dir vor, du sitzt gemütlich im Akropolis und am Nebentisch sagt jemand Jersey und du erinnerst dich, dass vor zwei Jahren in der U-Bahn mal jemand von einem Bunker auf Jersey erzählt hat. Soll normal sein? Nö, oder?“
     
     
    316
    Zehn Minuten Fußmarsch und Vika befand sich wieder in der zivilisierten Welt. Zivilisiert bedeutete: ein winziges Ladengeschäft mit Mineralwasser und Sandwiches, ein glücklicherweise in der Hosentasche zerknüllt gebunkerter Zehnpfundschein. Ihre Handtasche hatten sich Mareike und Honig unter den Nagel gerissen, ein weiterer Grund, sie aufzustöbern und zu bestrafen.
    An das Aufstöbern des Bunkereingangs war vorerst nicht zu denken. Konnte überall sein. Aber wo Mareike wohnte, das wusste Vika. Gar nicht weit. Lydia Gebhardt konnte warten und weiter weinen.
    Das Apartmenthaus. Dritter Stock, irgendwo läuten, das Summen des Türöffners, drin, hoch. Vor Mareikes Wohnungstür: horchen, klingeln, nichts. War nicht anders zu erwarten gewesen. Haarnadel. Glaubt einem kein Mensch, aber funktioniert tatsächlich, wenn man es kann. Vika konnte es. Tür auf.
    Die Wohnung war leer, ein Blick ins Schlafzimmer auf das ungemachte Bett, für einen Moment kam die Erinnerung wie ein Album schwülstiger Bilder, wurde aber sofort wieder zugeklappt. Vorbei, meine Süße. Jetzt sind wir zurück im harten

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