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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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richtigen Leben, im richtig harten Leben.
    Wenn sie schon mal hier war und eine ungewisse Zeit lang warten musste, konnte sie auch die Wohnung durchsuchen. Professionell, versteht sich. Schränke und Türen öffnen, in Schubladen kramen, Papiere sichten, den modischen Geschmack der Tänzerin genauer kennen lernen und bewundern, sie wusste sich zu kleiden. Geheime Werkzeuge in noch geheimeren Winkeln des Kleiderschranks, ein hämisches Vikagrinsen, aber jetzt bitte nicht schon wieder ein Fotoalbum mit erotischem Inhalt.
    Alles in allem war Mareike die gewöhnliche Schlampe, benutzte Schubläden als Gräber für alles Mögliche, flüchtig reingestopft, zerknitterte und unbezahlte Rechnungen, Mahnungen, ernste Mahnungen, dazwischen Bonbonpapier, Umverpackung von Fertiggerichten, ausgerissene Zeitungsartikel, meistens Kritiken der Auftritte ihrer Tanztruppe, aber auch viel über die isländischen Zustände der letzten Zeit. In einer hinteren Ecke ein kleines, von zahlreichen Eselsohren verunstaltetes Büchlein, auf dessen erster Seite „Tagebuch 2008“ stand und das nur zwei Einträge enthielt. „1. Januare 2008: Ich werde ab sofort Tagebuch führen, damit ich nachlesen kann, was ich mal gedacht habe.“ Und „5.1.2008: Ich glaube, es ist mir scheißegal, was ich gedacht habe und ich will das auch gar nicht mehr lesen, also warum soll ich das aufschreiben.“
    Na prima. Wenigstens an Selbsterkenntnis schien es ihr zeitweise nicht zu mangeln. Sonst fand sich nichts von Interesse. Keine Briefe, keine Notizen, kein Telefonbüchlein... doch, da! Oder? In unleserlichen Ziffer gekritzelte Zahlenfolgen, aber Telefonnummern waren das nicht. Ein Code? Nur eine Seite in einem Taschenkalender. Vika schrieb es sich ab.
    Dann wurde sie müde, wieder durstig, wieder hungrig. Mareikes Kühlschrank gab wenig her, ein Stück Dauerwurst, das noch genießbar zu sein schien, kein Brot. Immerhin eine Flasche Cola neben diversen alkoholischen Getränken, von denen Vika die Finger ließ. Sie konnte es sich nicht erlauben, hier einzuschlafen. Ein wenig dämmern, das ja. Dann, wenn Mareike und wohl auch Honig kämen, sofort wieder hellwach sein. Aber würden sie überhaupt kommen? Das sicher. Nur: wann?
    Nein, sie wollte sich nicht in Mareikes Bett legen. Also auf die Couch im Wohnzimmer. Sofort wurde ihr schwarz vor Augen, vielleicht eine Nachwirkung der unfreiwilligen Betäubung, der körperlichen Anstrengung bei der Flucht durch den Lüftungsschacht. Nicht einschlafen, Vika. Da schlief sie schon.
     
     
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    Einmal, für Sekunden, war er ein Held gewesen. Hatte eine Frau aus den Händen von Verbrechern gerettet. War eingetaucht in die warme Welt von Freundschaft und Dankbarkeit, ganz normale Menschen, Menschen, denen man übel mitspielte. Alles vorbei. Der erste leichte Gegenwind hatte Kriesling-Schönefärb zurück in die alte Spur des Kuschens und Hinnehmens geweht, ihn zu dem gemacht, was er immer gewesen war: Jasager, Karrierist, Angsthase, Arschloch.
    Er stand am großen Panoramafenster seiner Penthouse-Wohnung und überblickte das nächtliche Berlin. Da unten tummelte es sich. Täter und Opfer, Wissende und Arglose, Gewitzte und Hilflose, Erfolgreiche und Gescheiterte, Autoren und Leser. Schulterzucken. Ist eben so. Du bist nun mal ein Opportunist, Kriesling-Schönefärb, schon dein alberner Doppelname, den sich nicht einmal der hirnloseste Krimiautor hätte ausdenken können. Kriesling-Schönefärb, der ewige Brustschwimmer im Kinderbecken, das ängstliche Bübchen mit den Schwimmflügeln, das ständig nach seiner Mama am Beckenrand schaut, ob sie auch stolz auf ihn ist. Seine Mama. Die Bundeskanzlerin. Und die vielen strengen Papas, die von ihrer Erziehungsberechtigung Gebrauch machten. Böser Bub! Der Blick des Finanzministers, die Blicke der Nachrichtendienstler. Und er? Kuschte.
    Selbstmitleid? Ja, darin war er groß. In seinem Luxusapartment über der Stadt, weitab von den wirklichen Problemen. Er hatte seine Chance gehabt und sofort wieder versemmelt. Funktionierte. Dachte sich blöde Sprüche aus, um die Bürger zu seinesgleichen zu machen, zu manövrierbarer Masse, Stimmvieh, Bezahlern, Betrogenen, Beschissenen. Dabei ging gerade alles den Bach runter. Das labile Kartenhaus wackelte und würde einstürzen. Man schnappte sich schnell ein paar Schäfchen, klemmte sie sich unter die Arme und versuchte sie ins Trockene zu bringen. Nur darum ging es noch.
    Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, alles hinzuwerfen. Im

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