Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Vorwarnung und von einer solchen Heftigkeit, dass ich das nächstgelegene Café ansteuerte, um mich bei Kaffee und Kuchen auf die Existenz als kleinbürgerlicher Rentner vorzubereiten. Ich wählte ein extragroßes Stück gedeckten Apfelkuchen, weil ich den besonders hasse, er ist der Inbegriff von sonntäglicher Tantigkeit, nur noch übertroffen von Schwarzwälderkirsch, aber den hatten sie hier nicht. Für den Kaffee natürlich Milch und Zucker, so wie sie es alle tun. Keiner, außer mir, trinkt seinen Kaffee mehr schwarz und nun hatte auch ich mich von diesem Brauch der Existentialisten, Bonvivants und Liebhabern des literarischen Noir losgesagt. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre noch einen Schritt weitergegangen: Süßstoff statt Zucker. Tiefer konnte ein Mensch nicht mehr sinken.
Vorbei. Ich würde aus dem Fall aussteigen. Mir eine Fahrkarte nach Irgendwo kaufen, ein neues Leben beginnen, schön unauffällig, mir sogar einen Job suchen – mein Gott, war ich down! – und sogar an die Gründung einer Familie denken. Und dann warten. Auf die Apokalypse, worauf sonst.
Wieder ins Freie getreten, begab ich mich auf den Fußmarsch nach Hause. Es ging mir erstaunlicherweise etwas besser, was vielleicht daran lag, dass sich eine schwarze Macht Schneewolken über die Stadt hatte wehen lassen, um diese unter ihrem Weiß zu begraben. Von mir aus. Macht nur. Mir ist alles egal. Begnügt euch doch nicht mit dieser jämmerlichen Stadt, reißt doch gleich die ganze Welt mit in dem Abgrund. Und warum Schnee, warum nicht Feuerzungen wie in den guten alten Zeiten, als Gott noch manchmal als bärtiger alter Mann arglosen Menschen erschien? Ich sah hoch. Mitten hinein in die Wolken. Kein bärtiger alter Mann lugte zwischen ihnen hervor.
319
Jemand näherte sich der Wohnungstür. Redete, kam also nicht allein. Frauenstimme. Was jetzt, Vika? Sie sah sich um (hätte sie schon vorher machen sollen, Fehler über Fehler, war doch seit einer Stunde hier) der Fernseher, die Regale, die Couch. Huschte ins Schlafzimmer – das Bett. Abschätzen. Müsste zu schaffen sein. Schon lag sie drunter, die Matratze einen Zentimeter über der Nasenspitze. Sollte es hier gleich zu sexuellen Verrenkungen kommen, na dann gute Nacht.
„Komm rein“, sagte die Mareikestimme und eine andere, auch weiblich, machte „hm“ und räusperte sich. „Wie bist deinen Alten eigentlich losgeworden?“ Aha, sie setzten sich auf die Couch. „Hab ihn ganz einfach in London sitzen lassen.“ Jetzt erkannte Vika die Stimme. Frau Schnüffel persönlich. „Kapier ich sowieso nicht, wie du auf diesen Assi hast reinfallen können. Bist doch ne Frau mit Stil.“ Machte sie die andere gerade an? Dieses Timbre in der Stimme. Bleib standhaft, Mädchen, betete Vika, ich kann hier keinen Sex über mir gebrauchen.
„Ach lassen wir das.“ Frau Schnüffel ungeduldig. „Is schon gut, Sandra. Hast Recht. Denken wir an die Zukunft.“ „Ja“, antwortete Sandra und dann schwiegen sie erst einmal, bis Mareike „Willst nen Tee, nen Kaffee, ein Wasser, Orangensaft oder was Alkoholisches?“ im reichhaltigen Angebot hatte. „Wasser“, sagte Sandra knapp. Ächzen der Couchfedern, Schritte Mareikes zum Kühlschrank. Schritte zurück, wieder Ächzen der Couchfedern. „Danke“, sagte Sandra und: „Was ist eigentlich mit den Weibern?“ „Im Bunker. Sollen verrecken.“ Knallhart, die zarte Tänzerin. „Hm“, machte Sandra wieder. „Wenn das nicht anders geht.“ Auch knallhart, die Schnüffelche.
„Nein“, bekräftigte Mareike, „geht nicht anders. Dass Honey seine Tusse mitbringt – da siehst mal wieder, wie Männer denken, wenn sie glauben, dass sie denken. Was sollen wir mit der? Stört nur. Und die andere, die Detektivin – na ja. Im Bett ganz brauchbar, hübsches kleines Spielzeug.“ Ich bring dich um, schwor sich Vika. Aber jetzt ganz ruhig bleiben, gleichmäßig atmen. Bloß nicht zu husten anfangen. Obwohl... Sie würde mit den beiden fertig werden, nicht nur, weil sie gerade so geladen war. Trotzdem: Erst einmal zuhören, was sie sich so erzählten.
„Und weiter?“ wollte Sandra wissen. „Was weiter?“ Gegenfrage Mareike. „Wir müssen halt abwarten, was der Chef sagt.“ „Und was sagt er bisher?“ Wieder eine Schweigeminute. Mareike überlegte, was sie der anderen offenbaren sollte und was nicht, sonnenklar das. „Er sagt... dass wir zu viele Probleme haben. Personalprobleme. Typen, die einfach durchdrehen und sich nicht an die
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