Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Mineralwasser. „Hm, ja, Claudia. Sie hat sich an etwas erinnert. Dieser Rath... ihr erinnert euch an das Täteräta oder wie das auf dem Zettel gestanden hat, den Moritz bei der Leiche gefunden hat? Rath, sagt Claudia, habe sich in letzter Zeit für Karneval interessiert. Sie gefragt, ob sie den Karnevalsprinzen kenne. Kannte sich aber nicht. Fand es aber seltsam.“ Fanden wir auch.
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Marxers Psyche pendelte irgendwo zwischen Schiss und Euphorie. Es beunruhigte ihn, ins Visier der Staatsgewalt geraten zu sein, aber genau das war ein Publicity-Volltreffer, wie man ihn sich wünscht, wenn man eine Bude auf dem Markt hat und schreien muss, damit der Kaufpöbel aus seiner Lethargie erwacht und aufmerksam wird. Ey, das ist doch der literarische Kleinkrämerstand von Marxer! Dem Dissidenten! Dem Verfolgten! Dem Rächer der Rechtlosen! Sein Herz pochte penetrant, hoffentlich hielt die Pumpe durch. Marxer wollte kein Kafka, kein Glauser sein, sämtlich erst nach dem Tod zur Pläsir ihrer lachenden Erben berühmt geworden.
Er hatte mit seinem Verleger telefoniert, der wenigstens so aufgeregt gewesen war wie Marxer selbst. Das sei ja CRUE CRIME oder, wie es die Altvorderen genannt hatten, PITAVAL! Müsste man doch was draus machen, so vierhundert knackige Seiten, Thriller natürlich, nein, Korrektur: LITERARISCHER Thriller, damit es die Heinis in den Feuilletons nicht gleich links liegen ließen. Für die Leipziger Messe etwas zu spät, obwohl... wenn er das Ding bis Mitte Februar raushauen könnte...
Marxer hatte nur „hm“ gemacht, den Typen erst mal hinhalten. So etwas schrieb sich nicht in sechs Wochen, das wären ja zehn Seiten am Tag, ohne Lektorat und Piepapo. Okay, ließe sich schaffen, ABER: die Story. So etwas von einem verworrenen Krimi hatte Marxer auch noch nicht erlebt. Er würde raffen müssen, all die losen Fäden zusammenführen. Sich auf das Wesentliche konzentrieren. Und das war?
Er lief nach Hause, Oxana hatte sich verdünnisiert, nahm er ihr persönlich übel, war zu oft mit diesem Klein zusammen, der zwar den ganzen Zirkus angestoßen hatte, jedoch nicht die Gnade einer Literarisierung erfahren würde. Man musste die Story quasi auf die autobiografische Ebene hieven, das Ganze auch irgendwie zum Schlüsselroman machen, mit konkreten Personen der Zeitgeschichte garnieren. Also. Der Held ist ein Kriminalschriftsteller, der freitags gerne einen mit seinen Kumpels säuft. Diese Kumpels spielen ihm einen Streich und erklären ihn für ein paar Minuten per Schild an der Haustür zum Privatdetektiv. Eine betörende und zugleich mysteriöse Schöne – Sonja Weber – erscheint und gibt den Auftrag, ihren verschwundenen Bruder zu suchen. Der Krimiautor befindet sich gerade in einer existentiellen Krise – die Freundin ist abgehauen, Zweifel am literarischen Betrieb etc. – und nimmt den Auftrag an, in der Hoffnung, seine gerade stockende Kreativität etc... Er kommt diesen Plüschosterhasenleuten auf die Spur – tja, und jetzt musste der rote Faden, der Plot oder wie das Dings hieß herausgearbeitet werden. Erst mal in Ruhe Kaffee trinken.
Vor seiner Villa standen zwei Männer in hellbraunen Trenchcoats und langweilten sich. Marxer ging an ihnen vorbei, einer der Männer stellte sich ihm in den Weg. „Herr Marxer?“ Der Dichter hob die Augenbrauen. „Ja? Die Herren vom Verfassungsschutz, nehme ich an? Seien Sie darüber informiert, dass ich den Fall inzwischen öffentlich gemacht habe und jede meiner Bewegungen von Millionen Menschen verfolgt wird. Sie kennen den Fall dieses chinesischen Künstlers, der jetzt wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde? China, meine Herren! Diktatur! Sagt doch sogar unsere Bundeskanzlerin! Was glauben Sie wohl, wie sich die Chinesen ins Fäustchen lachen werden, wenn in der ach so demokratischen Bundesrepublik Deutschland ein bekannter Autor mundtot gemacht werden soll! Also geben Sie mir bitte den Weg frei, ich brauch jetzt eine Dusche.“
Der Agent wich tatsächlich zuerst einen Schritt zurück und tat dann einen zur Seite. Offensichtlich irritiert, ein kleiner Befehlsempfänger, der erst seine Bosse kontaktieren musste. Marxer schloss die Haustür auf, schlüpfte hinein, machte die Tür zu, drehte den Schlüssel zweimal um, schnaufte. Hätte man jetzt filmen müssen, das Ganze, auf Youtube stellen. Ein Job für Oxana. Die aber nicht da war. Überhaupt: Es wurde Zeit, sich von Oxana zu trennen, die Affäre wurde
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