Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
nicht aufgefallen wäre. Doktor Nomoney mochte Mitte Sechzig sein, hatte eine viel jüngere blonde Frau namens Lizzy sowie einen alkoholkranken Stiefsohn, der sich in Lizzy verliebt und so für Turbulenzen sorgt. Moritz Groß hat natürlich keinen Schimmer, wie die Dinge zusammenhängen. Er stößt nur zufällig auf weiterführende Spuren oder weil ihm Marxer, der im Roman auch Marxer heißt, und dessen Assistentin Natascha immer wieder auf die Sprünge helfen. Natascha war unverkennbar Oxana, wunderschön und im Roman unsterblich in Marxer verliebt, der allerdings noch immer an seiner verstorbenen Verlobten Marianne Kreuz hing, die vor drei Jahren ermordet worden war. Wie sich herausstellen sollte von besagtem Doktor Nomoney.
Eine echte Räuberpistole also. Die Bundesregierung, die Banken, sie waren harmlose und bemitleidenswerte Opfer des diabolischen Doktors (er hatte in BWL promoviert, was auf der Hand lag), höchstens willfährige Marionetten, die im Verlauf der Handlung plötzlich „ein Gewissen“ bei sich entdeckten und darob so überrascht waren, dass sie auf der Stelle zu den Guten, also zu Marxer überliefen, der Doktor Nomoney in einem turbulenten Showdown stellte und damit – Zitat – „auch noch im Vorbeigehen den Arsch von Moritz Groß rettete, der in einem Haifischbecken um sein Leben schwamm“. Ich stöhnte noch hörbarer als sonst auf. Das war übelster Schund. Ich konnte nur hoffen, dass Oxana fündig geworden war.
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Unsere Textexegese endete ergebnislos, im Gegensatz zur ausgiebigen Interpretation des kasachischen Waldbeerencocktails, der mit stärkeren Kopfschmerzen zu enden versprach. „Was für ein widerwärtiger Mist!“ schimpfte Oxana mit bereits äußerst schwankender Stimme. „Wohl wahr!“ schwankte meine Stimme die passende Antwort.
„Lies nur mal den Unsinn hier!“ Oxana holte tief Luft und rezitierte: „Die schwarzen Augen Dr. Nomoneys funkelten wie Edelsteine in der Dunkelheit. Sein Atem stank nach Tod und Schrecken. Moritz Groß stand kurz davor, seine schlotternde Hose mit den Abfallprodukten seines aus Pizzazunge, Kebab und Erdbeereis bestehenden Mittagessens zu füllen.“ Wir sahen uns an und beschlossen, unseren Ekel durch Abkotzen zu manifestieren. „Und so etwas verkauft sich echt? Unfassbar! Wer liest das? Sind die Konsumenten eines solchen Drecks wirklich so zahlreich und naiv?“ Oxana hob und senkte ihre hübschen Schultern. „Aber klar doch. Sind die gleichen Leute, die sich ohne Protest von den Finanzgangstern ausnehmen lassen. Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber. Ergänze: Nur die allerdümmste Mimi liebt den flachen Marxerkrimi.“
Wahrscheinlich war es keine gute Idee gewesen, sich mit dem „Idiotendetektiv“ zu beschäftigen, immerhin hatten wir einen Vorgeschmack auf das bekommen, wofür Masochisten viel Geld hinblättern. „Richtig schmierig, wie dieser Heini auch vorgibt, etwas von Internet oder so zu verstehen. Hör dir mal das an.“ Oxana räusperte sich und las: „Mit einem teuflischen Lächeln schaltete Dr. Nomoney seinen Laptop ein und rief die Twitterseite auf. Es bereitete ihm ein höllisches Vergnügen, die intimen Gedanken ihm wildfremder Menschen zu verfolgen, Menschen, die er eines nicht zu fernen Tages zu manipulieren gedachte.“ Sie trank einen großen Schluck. „Dabei hält der Typ Twitter für einen neuen Gesellschaftstanz!“
„Moment mal…“ Etwas in mir erinnerte sich vage, doch der kasachische Waldbeerencocktail verhinderte noch erfolgreich die Identifizierung. Twitter… „Lies mal weiter“, bat ich Oxana. Die sah mich überrascht an und las weiter.
„Labile Menschen waren das, Selbstdarsteller, arme Tröpfe. Dr. Nomoney lachte satanisch. Schick, schick, dachte er, das Internet ist die optimale Waffe des künftigen Weltenherrschers!“
Schick! Jetzt fiel es mir wieder ein! Eduard Schick, jener Twittersüchtige und unheilbar Kranke aus der Klinik! Rasch und in groben Zügen erzählte ich Oxana, wie ich den seltsamen Mann kennengelernt hatte. Sie nickte nachdenklich. „So ein Zufall, dass er dich aufsucht. Ein noch größerer Zufall, dass er auf deiner Station liegt. Und schier unglaublich, dass er von Georg Weber weiß. Ich glaube, wir haben eine Spur.“
Mochte sein. Vor allem jedoch hatten wir zwei dicke Köpfe, die um Schlaf und Ruhe flehten. „Du kannst es dir auf der Couch bequem machen, Vika ist ja unterwegs. Und in deinem Zustand bist du sowieso nicht zu Dummheiten
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