Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
fähig.“ Oxana unterschätzte die Macht meiner Dummheiten vollständig, wenn sie glaubte, übermäßiger Alkoholgenuss könnte ihnen etwas anhaben.
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Ich erwachte mit erstaunlich klarem Kopf, den ich aber sogleich wieder eintrübte, indem ich nachzudenken begann. Dafür ist er, jedenfalls bei mir, einfach nicht geschaffen. Außerdem schmerzte mein Rücken. Oxanas Couch war zum Schlafen in etwa so geeignet wie Oxanas Bett zum Nichtschlafen, die Vorstellung, dort die Nacht verbracht zu haben, hatte sich, wie ich befürchtete in einem irren Traum manifestiert, dessen Einzelheiten mir jedoch glücklicherweise entfallen waren. Wahrscheinlich gemeinsam mit Oxana und Vika, als Besitzer eines erotischen Überhangmandates sozusagen, was ja laut Bundesverfassungsgericht nicht verboten war.
Wir frühstückten schweigend und nachdenklich. Eine Spur, Eduard Schick, dem es nicht gefallen hatte, von Marxer in einem Roman erwähnt zu werden – aber war er überhaupt erwähnt worden? Oder bildeten wir es uns nur ein? Wie auch immer, man würde es nachprüfen können. „Ich checke das gleich in der Klinik“, versprach ich. Oxana kaute auf ihrem Brötchen und nickte.
Täuschte ich mich oder steckte in dem Küsschen, das Oxana zum Abschied meiner Wange zukommen ließ, eine homöopathische Winzigkeit an Leidenschaft? Ich täuschte mich natürlich. „Pass auf dich auf“, mahnte sie wenigstens. „Kommst du heute Abend in die Bauernschenke? Wie steht es eigentlich mit Hermine und dir?“ Zwei Fragen, die ich nur ungern beantwortete. Ich tat es knapp mit „Ja, okay“ und „Na ja, wohl nicht so okay“, was Oxana zu einem „Hm, ja, okay, wird schon wieder“ veranlasste. Wir glaubten es beide nicht, gaben es aber nicht zu.
In der Zeitung, die ich mir unterwegs kaufte, hatte die Nachricht vom Marxer-Attentat sogar die bevorstehende Eröffnung der Olympischen Spiele verdrängt. Selbst der Riesenskandal der falschen Flagge beim Nordkorea-Fußballspiel musste sich mit einem unscheinbaren Bericht auf Seite drei begnügen. Man hatte die Leserinnen und Leser gefragt, wie man deutscherseits reagieren würde, bekäme man die Flagge Hollands oder Italiens irrtümlicherweise zugeordnet. 45 Prozent hatten sich für „sofortigen Weltkrieg“ entschieden, 23 Prozent plädierten für „Ausstieg aus diesem kommerziellen Sportmist“ und immerhin noch 11 Prozent mahnten zur Vernunft und gaben sich mit „das IOC in die Luft jagen“ zufrieden.
„Berühmtester Sohn der Stadt entgeht nur um Haaresbreite einem feigen Anschlag. Wer steckt dahinter? Konstantin Marxer spricht von überraschendem Racheakt einer Romanfigur.“ Es war kaum auszuhalten. Ich warf die Zeitung in den nächsten Papierkorb und nahm den Bus zu den Kliniken. Eine gewisse Beklommenheit bemächtigte sich meiner, als ich die Station betrat, auf der ich fast ein halbes Jahr im Koma zugebracht hatte. „Aha, der Idiotendetektiv“, begrüßte mich die Oberschwester und zwinkerte mir zu. „Das mit diesem Marxer war jetzt aber leicht übertrieben, oder? Kommen Sie zur psychologischen Untersuchung? Ich wüsste keinen, der es nötiger hätte als Sie.“
Ich überhörte das und versuchte mich zu beherrschen. „Nee, nur nen alten Kumpel besuchen, der auch hier liegt. Eduard Schick.“ Die Oberschwester sah mich irritiert an. „Wie soll der heißen? Eduard Schick? Liegt hier nicht.“ Ob sie einmal nachsehen könne, ob vielleicht auf einer anderen Station… Die Oberschwester seufzte, tat es aber dann. „Fehlanzeige. Und der heißt wirklich Schick? Wir haben einen Edgar Schulze hier, aber sonst…“ Das hatte ich mir fast gedacht.
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Auf dem Schleichweg über die Hinterhöfe erreichte ich mein Büro. Nicht nur Annamarie Kainfeld erwartete mich, mit ihr im trauten Zwiegespräch Hermine, frisch frisiert im Businessanzug, nur die Krawatte fehlte. „Da bist du ja endlich. Zeit ist Geld, mein Lieber. Hol dir ne Tasse Kaffee, wir müssen etwas Geschäftliches besprechen.“ Ich kann nicht behaupten, dass mir die Verwandlung meiner nun wahrscheinlich Ex-Lebensgefährtin gefiel. Von der kecken Aldi-Verkäuferin zur taffen Gastronomie-Managerin, nein, bei aller Emanzipation, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Frauen sollen ruhig Karriere machen, aber hey, das ist noch lange kein Grund, mir den Beischlaf zu verweigern.
Ich holte mir wie befohlen einen Kaffee und begab mich in Hermines Schlepptau in mein Büro, das sofort ihr Büro wurde. „Setz dich,
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