Die Eheprobe
Koliken geplagtes, sabberndes, offensiv unglückliches Baby. William flüchtete sich jeden Tag in die heile Bürowelt. Ich blieb im Mutterschaftsurlaub zu Hause und teilte die Stunden in fünfzehnminütige Abschnitte ein: Stillen, Bäuerchen, mit dem schreienden Baby auf dem Sofa liegen, versuchen, das schreiende Baby in den Schlaf zu singen.
In diesen Momenten spürte ich den Verlust meiner Mutter am deutlichsten. Niemals hätte sie mich diese orientierungslosen Monate allein durchstehen lassen. Sie wäre sofort bei uns eingezogen und hätte mir alles beigebracht, was eine Mutter ihrer Tochter beibringt: wie man ein Baby badet, wie man Milchschorf loswird, wie lange du auf deinen Ehemann wütend sein solltest, wenn er dein Baby unachtsam in die Babywippe legt und es herausfällt.
Und, was am Allerwichtigsten ist: Meine Mutter hätte mich über den Lauf der Dinge aufgeklärt. Sie hätte gesagt: »Liebes, es ist paradox. In der ersten Hälfte deines Lebens fühlt sich jede Minute wie ein Jahr an, aber in der zweiten Hälfte deines Lebens fühlt sich jedes Jahr wie eine Minute an.« Sie hätte mir versichert, dass das ganz normal ist und man nicht gut daran tut, dagegen anzukämpfen. Dass das der Preis ist, den wir für das Privileg bezahlen, älter zu werden.
Meiner Mutter wurde dieses Privileg nie gewährt.
Elf Monate später wachte ich eines Morgens auf, und die Orientierungslosigkeit war vorüber. Ich hob mein Baby aus der Wiege, es gab drollige delphinartige Laute von sich, und ich verliebte mich augenblicklich.
69. Liebe Zoe,
hier kommt die Geschichte vom Beginn deines Lebens. Sie lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Ich liebte dich, und dann bekam ich richtig Angst, und dann liebte ich dich mehr, als ich mir je hätte vorstellen können, dass ein Mensch einen anderen Menschen liebt. Ich glaube, wir sind gar nicht so verschieden, obwohl es sich bestimmt momentan gerade so anfühlt.
Dinge, die du vielleicht nicht weiÃt oder an die du dich nicht erinnerst:
1. Du warst immer ein Trendsetter. Mit zwei Jahren bist du auf den Schoà vom Nikolaus geklettert und hast vor hundert irritierten Leuten, die seit einer Stunde Schlange standen, laut losgesungen: »Do â a deer â¦Â« â The Sound of Music. Alle stimmten mit ein. Du hast schon Flash-Mobs initiiert, bevor irgendjemand überhaupt wusste, was das ist.
2. Der erste Urlaub, den dein Vater und ich ohne euch Kinder machten, verbrachten wir in Costa Rica. Du weiÃt, dass manche Mädchen eine Pferdephase haben? Tja, du hattest eine Affenphase. Du wolltest unbedingt, dass ich dir ein weiÃgesichtiges Kapuzineräffchen mitbringe. Als wir nach Hause kamen und ich dir dein Geschenk überreichte, einen Plüsch-Schimpansen namens Milo, hast du dich bedankt, dann bist du in dein Zimmer gegangen, hast das Fenster geöffnet und ihn mitten in die Ãste des Redwood-Baums im Garten geworfen, wo er bis zum heutigen Tage wohnt. Gelegentlich, bei Sturm, wenn der Baum hin und her schwankt, erhasche ich einen Blick auf Milos Gesicht, und sein verblasster roter Mund lächelt mich traurig an.
3. Oft wünsche ich mir, mehr wie du zu sein.
Zoe, mein Baby â ich befinde mich immer noch in der Ich-halte-zu-dir-auch-wenn-du-es-momentan-kaum-aushältst-mich-auch-nur-anzusehen-Phase. Es ist nicht leicht, aber ich krieg das schon hin. Venti-Sojamilch-Lattes helfen dabei, die Zeit zu verkürzen, genauso, wie sich Vom Winde verweht anzuschauen.
Deine dich liebende Mama
Kapitel 64
John Yossarian
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Gehen Sie gerne im Kreis spazieren, Forscher 101?
Manchmal kann im Kreis gehen sehr hilfreich sein.
Vermutlich â solange das im Kreis Gehen vorsätzlich passiert.
Ich habe mir vorgestellt, wie Sie wohl aussehen, Ehefrau 22.
Diese Information kann ich nicht preisgeben; allerdings kann ich sagen, dass ich nicht den Hutterern angehöre.
Sie haben kastanienbraunes Haar.
Ach ja?
Ja, aber Sie würden es lieber als mausbraun beschreiben, weil Sie dazu neigen, sich selbst zu unterschätzen, dabei haben Sie die Art von Haaren, um die andere Frauen Sie beneiden.
Deshalb schauen mich immer alle so böse an.
Die Augen sind ebenfalls braun. Vielleicht haselnussbraun.
Oder vielleicht blau. Oder vielleicht grün.
Sie sind hübsch, und ich meine das als Kompliment. Hübsch ist, was zwischen schön und unansehnlich liegt, und
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