Die Ehre der Am'churi (German Edition)
unbehaglich. Wenn Ni’yo es für nötig hielt, ihn zu warnen, bedeutete das Gefahr. Ni’yo scherzte nicht. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Jivvin teilte die Einschätzung seines Feindes. Irgendetwas war merkwürdig an diesen Händlern, aber er wollte verflucht sein, wenn er wusste, was. Leruam hatte offenbar nichts an ihnen bemerkt.
Am’chur, sehe ich Gespenster, oder muss ich mich wirklich vorsehen?, dachte er, wissend, dass der Gott nicht antworten würde.
Nun, Vorsicht kann nie schaden!
Der Führer der Handelskarawane kam zu ihm, ein redseliger, dicker Mann namens Kim’le, dessen offene, ansprechende Art sofort Vertrauen erweckte.
„Ihr seid ein noch junger Krieger, wenn Ihr verzeihen mögt, habt Ihr denn schon Erfahrung im Kampf?“, plapperte er, hüpfte dabei wie ein neugieriges Kind.
Jivvin erzählte bereitwillig, wenn auch ein bisschen vage, von seinen bisherigen Begegnungen mit Schattenelfen. Er schmückte die Kampfgeschehen aus, ließ aber alle unangenehmen Details beiseite. Es gab Dinge, die mussten Fremde nicht unbedingt erfahren. Kim’le redete unentwegt weiter, stellte hunderte Fragen nach Waffen und Kampf, nach Am’chur, wie gefährlich der Zornige Gott wirklich war, wie rachsüchtig, aber auch beschützend.
„Man sagt, Am’chur tötet jeden, der einen seiner Krieger beleidigt, stimmt das?“, fragte Kim’le mit weit aufgerissenen kindlichen Augen. „Ich meine, es könnte ja sein, dass ich oder einer meiner Leute Euch versehentlich angeht, müssen wir uns dann sehr fürchten?“
„Gewiss nicht“, lächelte Jivvin. „Wenn Am’chur jeden seiner Krieger wie eine Glucke behüten würde, müssten wir uns die Mühe mit einer Kampfausbildung gar nicht machen, nicht wahr? Der Gott des Krieges ist stolz, wenn wir für uns selbst zu sorgen wissen und verhindert nicht, dass wir angegriffen werden.“
„Aber wenn ein Unglück geschieht? Wenn, sagen wir, Räuber über uns herfallen, so zahlreich, dass Ihr tödlich verletzt werdet, dann würde Am’chur doch über uns kommen?“
„So lange Ihr Euch nicht den Räubern anschließt, hättet Ihr nichts zu befürchten, Kim’le, aber sonst könnte es böse enden, ja.“
Jivvin war froh, als einer der Lastesel zu bocken begann und Kim’le zu Hilfe eilen musste. Der fröhliche, etwas naive Handelsführer war auf Dauer dann doch ein wenig anstrengend.
Die Karawane wollte in die Provinzhauptstadt von Ettusa ziehen. Jivvin war schon einmal dort gewesen, eine reiche, große Stadt namens Hifylis, ganz in der Nähe der Salzwüste im Norden von Aru. Salz hatte diesem Landstrich Wohlstand gebracht. Es würde eine recht lange von zwei oder drei Monaten werden. Weniger die Entfernung als schwierige Wegbedingungen würden sie aufhalten; es galt mehrere große Flüsse zu überqueren, dazu die dichten Wälder rund um Vaio, in denen die Lasttiere noch langsamer als sonst vorwärts kommen würden und jederzeit mit Wegelagerern zu rechnen war. Wenn sie es nicht vor dem Einsetzen der Herbststürme bis an den Rand der Salzwüste geschafft hatten, konnte es sogar sein, dass sie dort überwintern mussten. Die Stürme in der Wüste waren tödlich, niemand würde zu dieser Zeit versuchen, sich dort hineinzuwagen. Jivvin bereitete sich innerlich schon einmal darauf vor, erst im kommenden Frühjahr nach Vaio zurückzukehren.
Ein Jammer. Auf Monate keine Gelegenheit, Ni’yo anzugreifen, stattdessen das kindliche Gerede des Händlers, das waren trübe Aussichten … aber vielleicht befand unter den anderen Männer noch ein angenehmerer Gesprächspartner.
Nicht sehr wahrscheinlich …
Ni’yo betrachtete den Sternenhimmel über sich. Er lag ausgestreckt auf dem weichen Waldboden, neben ihm prasselte ein niedriges Feuer. Müßig spielte er mit einer Feder des Rebhuhns, das er erlegt hatte. Schon lange war er nicht mehr so satt gewesen, vielleicht sollte er wirklich häufiger den Tempel verlassen und sich selbst versorgen, statt sich nur alle paar Tage einmal in das Haupthaus zu wagen, um nicht verhungern zu müssen. Der Wald war gerade zu dieser Jahreszeit voller Früchte, Pilze, essbarer Kräuter und Wild. Hier war er für sich, musste keine finsteren Blicke fürchten, Hass oder Angst.
Ich bin ein Am’churi, kein Kind von Muria. Mein Weg ist der Krieg, nicht die Jagd …
Aber hier war er allein. So sehr Ni’yo die Einsamkeit suchte, um Konflikte zu vermeiden, so sehr fürchtete er sie auch. Im Tempel konnte er die anderen wenigstens beobachten, ihren Stimmen
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