Die Ehre der MacKenzies (German Edition)
gekämpft.
Die meiste Zeit über waren Barrie die Augen verbunden gewesen, sie hatte sich überhaupt nicht orientieren können. Man hatte sie erniedrigt, ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie geschlagen. Man hatte ihr Vergewaltigung angedroht, aber immer kurz vorher von ihr abgelassen. Dafür musste es einen Grund geben. Natürlich war das bewusster Psychoterror, vor allem aber hatten diese Kerle sich an Befehle gehalten. Sie hatten auf den Mann gewartet, der heute ankommen sollte.
Wer war dieser Mann? Der, der hinter der Entführung stand? Ganz sicher. Aber warum?
Eine Lösegeldforderung? Wenn Barrie jetzt darüber nachdachte, schien ihr dieser Grund wenig wahrscheinlich. Sicher, ihr Vater war reich. Viele Diplomaten stammten aus wohlhabenden Verhältnissen, das war keineswegs unüblich. Doch wenn es um Geld ging, gab es weit lohnendere Ziele.
Und warum hatte man sie außer Landes gebracht? Eine Übergabe war sehr viel einfacher zu bewerkstelligen, wenn die Geisel in der Nähe blieb. Nein, gerade der Transport in ein anderes Land bedeutete, dass Barrie aus einem anderen Grund gekidnappt worden war. Vielleicht hätten sie so oder so Geld verlangt, aber es war auf jeden Fall nicht das ausschlaggebende Motiv.
Was also war der Grund?
Sie wusste es nicht, und da sie keine Ahnung hatte, wer der Kopf der Bande war, war das Rätseln müßig.
Um sie ging es bestimmt auch nicht. Diese Vorstellung wischte Barrie sofort beiseite. Kein Mann, der von einer Frau so besessen war, dass er sie entführte, ließ zu, dass seine Männer diese Frau misshandelten. Sie war auch gar nicht der Typ Frau, der Obsessionen in einem Mann weckte. Die Männer, mit denen sie bisher ausgegangen war, hatten sich jedenfalls nicht zu stürmischen Liebesbekundungen beflissen gefühlt.
Es musste also etwas anderes geben, ein Puzzleteilchen, das das Bild vervollständigte. Vielleicht etwas, das sie wusste? Irgendwo gehört oder gesehen hatte?
Ihr fiel beim besten Willen nicht ein, was es sein konnte. Hinter den Kulissen kannte Barrie sich nicht aus, mit Intrigen hatte sie nichts zu tun, sie schmiedete keine Ränke. Natürlich wusste sie, welche Botschaftsangestellten auf der Gehaltsliste der CIA standen, aber das waren keine geheimen Informationen. Ihr Vater hatte des Öfteren Kontakt mit Art Sandefer und in letzter Zeit auch mit Mack Prewett. Dieser Mack Prewett machte eher den Eindruck eines Bürokraten, auch wenn sein listiger Blick vermuten ließ, dass er lange Jahre des aktiven Dienstes hinter sich hatte. Mack Prewett war schwer einzuschätzen. Er hatte etwas Hartes und Ruheloses an sich, bei dem Barrie jedes Mal ein mulmiges Gefühl bekam.
Ihr Vater behauptete, Mack sei ein guter Mann. Aus vollem Herzen zustimmen konnte sie dem nicht, aber ein Gauner schien er auch nicht zu sein. Trotzdem … vor ein paar Wochen war sie, ohne anzuklopfen, ins Büro ihres Vaters gerauscht, in der Annahme, ihn allein vorzufinden. Doch Mack Prewett war da gewesen und hatte von Barries Vater einen dicken braunen Umschlag in Empfang genommen. Beide Männer hatten bestürzt ausgesehen, aber ihr Vater war schließlich nicht umsonst Diplomat. Er hatte die flüchtige Verlegenheit sofort überspielt, und Mack war kurz darauf gegangen – mit dem Umschlag. Barrie hatte keine Fragen gestellt. Wenn es sich um ein CIA-Geschäft handelte, dann ging es sie nichts an.
Jetzt allerdings fragte sie sich, was wohl in dem Umschlag gewesen sein mochte.
Diese kleine Episode war die einzige Unregelmäßigkeit, an die Barrie sich erinnern konnte. Art Sandefer behauptete stets, es gäbe keine Zufälle. Aber diesen Vorfall in Zusammenhang mit ihrer Entführung zu bringen …? Das war doch sehr weit hergeholt.
Barrie hatte das Gefühl, bei ihren Überlegungen durch ein Labyrinth zu tappen. Sie nahm falsche Abzweigungen, stolperte in Sackgassen. Sie sollte logisch denken. Ihr Vater würde nie, niemals etwas tun, bei dem seine Tochter zu Schaden kommen könnte. Und deshalb konnte dieser Umschlag auch keine Bedeutung haben. Es sei denn … ihr Vater war in irgendeine Sache verwickelt und wollte aussteigen. Diese Entführung machte nur Sinn, wenn jemand Barrie als Druckmittel benutzen wollte, um ihren Vater zu zwingen, etwas gegen seinen Willen zu tun.
Die Vorstellung, ihr Vater könne etwas Unrechtes tun, erschien Barrie völlig abwegig. Natürlich kannte sie seine Schwächen. Er war eigentlich ein ziemlicher Snob, und sein Beschützerinstinkt ihr gegenüber war regelrecht
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