Die Ehre der MacKenzies (German Edition)
erdrückend. Dass sie sich eines Tages verlieben und heiraten könnte, widerstrebte ihm zutiefst. Aber er war ein Ehrenmann und ein Patriot. Vielleicht wollten die Entführer wichtige Informationen von ihm erpressen, und dazu benutzten sie seine Tochter?
Ja, das war eine logische Erklärung. Der Umschlag hatte nichts mit der Entführung zu tun. Und Art Sandefer irrte sich hinsichtlich der Zufälle.
Und wenn nicht?
Dann war ihr Vater tatsächlich in etwas verwickelt.
Allein bei dem Gedanken wurde Barrie übel. Dennoch musste sie diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Denn wenn die Kidnapper sie als Waffe gegen den Botschafter einsetzten, dann würden sie nicht so schnell aufgeben. Der Kopf der Bande war noch nicht eingetroffen. Erst jetzt wurde Barrie bewusst, dass sie nicht einmal wusste, wo genau sie sich aufhielt.
„Wo sind wir?“, murmelte sie. Es wurde Zeit, dass sie es erfuhr.
Zane zog leicht eine Augenbraue in die Höhe. Er hatte sich ihr gegenüber an der Wand niedergelassen. Mit dem Waschen schien er längst fertig zu sein, und Barrie fragte sich, wie lange sie wohl so gedankenverloren dagesessen hatte.
„Bei den Docks am Hafen“, antwortete er. „Eine ziemlich zwielichtige Gegend.“
„Ich meinte, in welcher Stadt?“
Seine Augen leuchteten kurz auf, als er begriff.
„Benghazi. Libyen.“
Libyen! Erst einmal musste sie diese Neuigkeit verdauen, doch dann kehrte Barrie zu ihren Überlegungen zurück.
Der Kopf der Gruppe sollte heute ankommen. Woher? Aus Athen? Wenn er Kontakt zu seinen Männern hatte, musste er von ihrer Flucht erfahren haben. Falls er jedoch auch Zugang zu der Botschaft hatte, dann wusste er, dass Barrie bisher nicht dorthin zurückgekehrt war. Was darauf schließen ließ, dass sie sich immer noch in Libyen befand. Und dann wäre es nur logisch, nach ihr zu suchen.
Barrie sah zu Zane hinüber. Er hatte die Augen halb geschlossen, fast sah es aus, als schliefe er. Doch Barrie ahnte, dass alle seine Sinne darauf achteten, was um ihn herum passierte. Er gönnte seinem Körper eine Ruhepause, während sein Geist hellwach blieb.
Nach der Erniedrigung durch ihre Entführer war Zanes Fürsorge und Rücksichtnahme wie Balsam für Barries geschundenes Gefühlskostüm, noch bevor ihr überhaupt klar geworden war, wie tief die Blessuren gingen. Ohne dass sie etwas hätte dagegen tun können, hatte sie angefangen, auf Zane zu reagieren wie eine Frau auf einen Mann reagierte. Und es war in Ordnung so. Er war das genaue Gegenteil dieser Mistkerle, denen es ein perverses Vergnügen bereitet hatte, Barrie leiden zu sehen. Wahrscheinlich durchkämmten sie schon die ganze Stadt nach ihr. Das Risiko, dass sie sie wieder einfingen, bestand – und dann würde es keine Schonfrist für sie geben.
Nein. Das war absolut unerträglich. Das würde sie nicht zulassen. Sie wollte verdammt sein, bevor sie den Entführern die Befriedigung gönnte, der sie so erwartungsvoll entgegengegeifert hatten. Sie würde sich von diesen Widerlingen nicht die Unschuld nehmen lassen!
Mehr als ein bisheriger Mangel an Erfahrung war es für Barrie nicht. Im Schweizer Internat hatte sie nur selten Gelegenheit gehabt, Jungen kennenzulernen. Die wenigen, die sie getroffen hatte, hatten sie nicht sonderlich interessiert. Nach der Schule machten die übertriebene Fürsorge ihres Vaters und ihre Pflichten an der Botschaft ein aufregendes Privatleben unmöglich. Die Männer, die Barrie traf, waren genauso langweilig wie die Jungs während der Schulzeit.
Doch geträumt hatte sie. Von einem Mann, dem sie begegnen würde, in den sie sich verlieben würde und mit dem sie schlafen würde.
Die Entführer hätten diesen Traum fast zerstört. Wäre Barrie noch länger in deren Händen gewesen, wäre sie so schlimm traumatisiert, dass sie wahrscheinlich nie wieder die Hände eines Mannes auf sich hätte ertragen können. Wenn Zane sie nicht dort herausgeholt hätte, wäre ihre erste sexuelle Erfahrung eine Vergewaltigung gewesen.
Nein. Tausendmal nein.
Selbst wenn die Kerle sie fanden, diesen Traum wollte Barrie sich nicht nehmen lassen.
Barrie stand mühsam auf, ging die wenigen Schritte zu Zane hinüber, bis sie vor ihm stand, und sah mit dunklen grünen Augen auf ihn herunter. Er spannte sich an, rührte sich aber nicht, sondern schaute nur mit rätselhaftem Blick unter den halb gesenkten Lidern zu ihr hoch.
„Schlafen Sie mit mir“, stieß sie rau hervor.
5. KAPITEL
B arrie …“, setzte Zane sanft an. Sein Tonfall
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