Die Ehre der Slawen
zu hören.
»Rapak …, Thietmar! Wo steckt ihr?«
Ein tiefer stiller Friede lag über dem Land. Weder aus dem Lager des Steuereintreibers noch von der Inselburg her drang der kleinste Laut zu ihnen hinüber. Die beiden Freunde schienen die Einzigen zu sein, die nicht der heiligen Nachtruhe nachgegeben hatten. Und das, obwohl sie nun schon einen ganzen Tag und eine ganze Nacht auf den Beinen waren.
»Kuhscheiße und Hasenmist! Warum, bei allen Göttern, konnten sich die beiden nicht hier in der Nähe verstecken?«, fluchte Paddie ärgerlich mit gedämpfter Stimme.
Eine tiefe Unruhe, eine völlig neue und unbekannte Art von Nervosität hatte von ihm Besitz ergriffen. Nur ein einziger Gedanke beherrschte ihn, einer, der von einer tiefen Sorge um die Freunde und von der Ungewissheit wegen des bevorstehenden Kampfausgangs gezeichnet wurde. Unermüdlich trieb er seinen Freund an, der immer wieder leicht zurückfiel. Er packte ihm am Hemdzipfel, zog ihn im Dauerlauf über schmale Wildpfade, ließ ihn durch dichte, dornige Hecken kriechen und durch flaches Wasser waten.
»Ich kann nicht mehr«, stöhnte Bikus und ließ sich ungeachtet der Nässe ins Gras fallen.
»Und Hunger habe ich auch«, fügte er schnell hinzu, als er dem missbilligenden Blick seines Freundes begegnete.
Ratlos und verzweifelnd stemmte Paddie seine Hände in die Hüften und drehte sich langsam einmal um seine Achse. Seine Sinne waren auf das Äußerste gespannt und seine Ohren versuchten selbst noch das kleinste Geräusch zu sondieren. Wenn Rapak oder Thietmar im Umkreis von fünfzig Schritten auch nur den leisesten Mucks von sich gegeben hätten, so hätte er es gehört.
Große Wassertropfen rannen von Paddies nackten Waden. Sein grobes Leinenhemd war schon längst durchnässt und klebte ihm kalt und schwer am Körper. Mit ein paar fahrigen Handbewegungen strich er sich das feuchte Haar hinter die Ohren und wischte mit den Handballen einige Spinnenfäden aus dem Gesicht.
»Wo, um alles in der Welt mögen sich die beiden nur versteckt haben?«, murmelte er nachdenklich.
»Wahrscheinlich haben sie uns noch nicht so früh zurückerwartet und sind deshalb noch tief im Walde versteckt«, resignierte Bikus.
Laut knurrend meldete sich sein Magen. Oh, was hätte er jetzt für einen saftigen Schinkenstreifen und einen schönen knusprigen Brotkanten gegeben. Dazu noch einen großen Becher süßen Beerensaft und die Welt sehe schon wieder ganz anders aus. Aber so? Wie sollte ein normaler Mensch diese Strapazen nur durchhalten ohne ein anständiges Frühstück im Magen.
»Und was machen wir nun?«, blickte er ratlos zu Paddie auf.
»Du weißt doch genau, dass wir Rapak niemals im Leben finden werden, wenn er sich nicht finden lassen will. Der kennt doch im Umkreis von zwei Tagesmärschen jeden Baum und jeden Strauch.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, gestand Paddie ein und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.
»Und außerdem, wenn wir ihn nicht finden, dann werden ihn die gemeinen Blutsauger erst recht nicht finden. Ich glaube, wir brauchen uns um die beiden vorerst keine großen Sorgen machen.«
Abermals lauschte Paddie angespannt in alle Richtungen, als erwartete er doch noch ein plötzliches Lebenszeichen von den Gesuchten. Irgendwo in der Ferne platschte und raschelte es im Schilf. Dieses Geräusch identifizierte Paddie jedoch sehr schnell. Es stammte nicht von den Freunden, sondern von irgendwelchem Wild, das im frühen Morgengrauen seinen Durst löschte. Danach breitete sich wieder die frühmorgendliche Stille aus.
Bikus Magen meldete sich erneut mit einem lauten Grummeln. Er hörte sich fast so an, als ob ein großer Hund knurrte.
Leise zischend stieß Paddie die Luft zwischen den Zähnen hervor.
»Also gut! Dann machen wir noch einen kleinen Abstecher zum Heerlager, um zu sehen, ob sie vielleicht eine neue Gemeinheit ausgebrütet haben und dann nichts wie hin zum Waldkrieven und unseren kleinen Geschwistern.«
Für Bikus unhörbar fügte er ganz leise hinzu: »Und zum allerschönsten Mädchen der Welt natürlich auch.«
Dann wieder etwas lauter an seinen Freund gewandt: »Womöglich hat der Krieve noch gar nicht mitbekommen, was für eine blutrünstige Streitmacht sich hier versammelt hat. Dann wird es nämlich höchste Zeit, dass ihm jemand Bescheid gibt. Wenn der Priester nicht weiß, was hier los ist, dann kann er auch die Götter nicht um Beistand bitten.«
»Also gut, wenn du
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