Die Ehre der Slawen
Privatgemach. An der Wand, dem Kamin gegenüber, hingen und standen Schwerter und Lanzen in einem hölzernen Regal. Mindestens zwei Dutzend eiserne Helme der verschiedensten Formen hingen griffbereit an langen Haken. Auch an lang- und kurzstieligen Streitäxten sämtlicher Größen bestand kein Mangel. Neben dem Kamin stand eine große eisenbeschlagene Truhe, die von einem massigen Vorhängeschloss gesichert war. Ein einsames kleines Kruzifix neben einem Heiligenbild komplettierte die Einrichtung.
Auf dem Treppenabsatz vor der Tür stand der stiernackige Wachtposten Walther und sorgte dafür, dass kein ungebetener Besucher die Gedankengänge seines edlen Herren stören konnte. Selbstredend kam für Dietrich hierfür nur ein alter Haudegen infrage, der schon mehr als einmal seine Loyalität bewiesen hatte. Notfalls würde Walther seinen Herren sogar mit dem Leben verteidigen. Dies war allerdings auch das Mindeste, was der Markgraf erwartete.
Dietrich rieb sich zufrieden die Hände. Der erste Teil seines Planes war gelungen. Der Kaiser hatte angebissen und ließ ihm freie Hand im Umgang mit dem störrischen Wendenpack. Unter dem Freibrief des kaiserlichen Befehls: »Steuereintreibung – notfalls auch mit Waffengewalt« hatte er nun endlich den freien Handlungsspielraum, den er schon immer wollte. Nun ja, dieses »notfalls« war ein weitläufiger Begriff und ließ sich sehr vielschichtig interpretieren. Es lag nun ganz allein bei ihm, wie er des Kaisers Befehl auslegte. Und der Graf hatte schon sehr klare Vorstellungen.
Im Gedanken sah Dietrich sich schon die blanken Silberheller zu vielen Türmchen aufschichten, spürte das leise Kribbeln in den Fingern, wenn er über die feinen Nerz- und Zobelfelle streichelte und er schmeckte den süßen, starken Met am Gaumen, den die Heiden wahrlich gut zu brauen verstanden. Zum nächsten Winter wären seine Vorratslager bis zum Bersten gefüllt. Schweine, Hammel und Federvieh für das tägliche Mal des Adels, Fladenbrot und Pökelfleisch für die Waffenträger und Bediensteten, Rüben- und Hirsesuppe für die Bauern und Knechte. Ja, der Kaiser würde mit ihm zufrieden sein. Was für ein vorbildlicher Herrscher er doch war, wenn er sich so fürsorglich um all seine Untertanen sorgte.
Dietrich war bis hierher mit sich und der Welt zufrieden. Alles lief nach Plan. Nun galt es die nächste Phase umzusetzen und zwar je eher, desto besser.
Ein dumpfes Pochen an der Zimmertür riss ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Ja!«, rief er laut, damit Walther es durch die massive Tür auch hören konnte.
»Herr, Ritter Udo ist hier. Ihr wünscht ihn zu sprechen?«, fragte der Posten demütig.
»Aber gewiss doch, nur immer herein mit unserem edlen Freund!«
Dietrichs Gesichtszüge veränderten sich augenblicklich. Der selbstzufriedene Ausdruck verschwand und machte einem gönnerischen Lächeln Platz. Mit leicht erhobener Hand trat er scheinbar erfreut auf seinen Ritter zu, um ihn zu begrüßen. Dieser beugte ein Knie zu Boden, senkte den Kopf und hauchte einen Kuss auf den Siegelring seines Lehnsherren.
»Mein treuer Udo, was für eine Freude, Euch wiederzusehen«, heuchelte Dietrich gekonnt.
»Die Freude ist ganz meinerseits, mein edler Herr. Gott möge Euch auf all Euren Wegen beschützen und ein langes Leben bescheren«, entgegnete Udo demütig und erhob sich betont respektvoll.
Sekundenlang standen sie sich wortlos gegenüber, der Freiherr in stummer Erwartung eines ertragreichen Auftrages, der Graf ganz und gar in die Musterung seines Vasallen vertieft.
Was für ein stattlicher Bursche dieser Ritter doch ist, gestand sich der Markgraf neidvoll ein. Ein Furcht einflößender Blutknecht, durch und durch. Mit seinen zweiunddreißig Lenzen im besten Mannesalter, kräftig gewachsen, breit in den Schultern und fast einen ganzen Kopf größer als sein Lehnsherr. Kaum jemand in der Grafschaft verstand sich so gut in der Handhabung von Schwert und Lanze, keiner konnte am Biertisch mit ihm mithalten. Niemand, wohl nicht einmal er selbst, wusste noch zu sagen, wie viele Gegner sein Schwert bisher niedergestreckt hatte. Entscheidend für den Markgrafen war, dass Udo hervorragende Führungseigenschaften besaß. Er verstand es, eine Armee zu befehligen, die Leute im bedingungslosen Gehorsam anzutreiben, sie in einen wahren Blutrausch zu stürzen und es gab unter seinen kampferprobten Mannen niemanden, der die Richtigkeit seiner Befehle auch nur im Traume anzuzweifeln
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