Die Ehre der Slawen
vor Schmerz und Schreck steil in die Höhe.
Rapak nutzte die Gelegenheit und ergriff Bikus an einem seiner emporgerissenen Arme. Hilflos hing das Schwergewicht nun am Stein und wusste nicht mehr weiter.
»Na bitte«, flachste Paddie, »die Hälfte hast du doch schon geschafft!«
Rapak zog keuchend vor Anstrengung von oben und Paddie schob schwitzend und mit zitternden Knien von unten. Stück für Stück hievten sie ihren Freund auf den Felsen hinauf. Schließlich hatten sie es aber geschafft und Bikus lag schnaufend oben. Nach einer kurzen Erholungspause sprang Paddie, der sofort von hilfreichen Händen emporgezogen wurde.
Schlagartig wurde ihnen nun die Bezeichnung »Schälchenstein« klar. Inmitten der Oberfläche befand sich nämlich eine schüsselförmige Mulde, die vom nächtlichen Gewitterregen randvoll mit klarem Wasser gefüllt war.
»Und alles klar?«, wollte Rapak wissen.
Paddie und Bikus nickten.
»Also Freunde«, erklärte er, »wir müssen nun, jeder mit seinem Herzen, die guten Götter um Beistand bitten und dann von diesem Wasser trinken. Und wenn das geschehen ist, werden uns ihre mächtigen Hände sicher an den Sümpfen vorbeigeleiten.«
Gesagt, getan.
Ehrfürchtig murmelte jeder für sich ein Stoßgebet zu einem seiner Lieblingsgötter, schöpfte eine Handvoll Wasser und trank von dem erstaunlich kühlen Nass.
»Also Freunde«, bemerkte Rapak stolz, »nun dürfte uns eigentlich nichts mehr passieren.«
Als das Ritual vollzogen war, setzten sie voll neuer Zuversicht und guten Mutes ihren Weg zum Rederang fort. Einzig Bikus Mut nahm in dem Maße ab, wie sie sich vom heiligen Stein entfernten.
»Und ihr meint von den Sumpfgeistern droht uns nun keine Gefahr mehr?«
Paddie seufzte vernehmlich und versuchte die Bedenken seines Freundes und vor allem die Reste seiner eigenen zu zerstreuen.
»Schafe sind keine Moortiere. Ich glaube, dass die Viecher irgendwo ganz friedlich am Rande des Sees an saftigen Feuchtgräsern knabbern und die gefährlichen Zonen meiden.«
»Und wenn nicht?«, fragte Bikus noch mutloser als zuvor.
»Dann folgen wir bei unserer Suche den Spuren der Elche. Von den Elchen hat nämlich noch niemand gehört, dass jemals einer in einem Sumpf ertrunken wäre. Diese Tiere haben einen besonderen Sinn für gefährliche Stellen und weichen ihnen immer aus.«
»Na klar«, gab Bikus trotzig zurück, »wir fangen uns ein paar Elche und reiten dann einfach durch die Sümpfe. Ihr müsst ja verrückt sein!«
»Ach mein Freund, du brauchst doch keine Angst zu haben. Wir werden schon auf dich aufpassen.«
»Pah! Und außerdem ist es jetzt Zeit für eine kleine Rast. Ich habe Hunger.«
»Nichts da, weiter geht’s!«
Langsam wurde der Boden immer weicher und feuchter. Der Wald lichtete sich und auch die Anzahl der entwurzelten, halb vermoderten Bäume nahm zu. Statt Kiefern, Eichen und Buchen wuchsen nun immer mehr Birken und Weiden. In fast jeder kleinen Senke schillerte ein Tümpel, dessen schlammige Ufer von Wildschweinen regelrecht umgepflügt waren.
Schließlich war der Hochwald zu Ende. Vor ihnen breitete sich ein etwa hundert Schritte breiter Wiesengürtel aus, der am gegenüberliegenden Ende von dichtem Schilf begrenzt wurde. Und hinter dem Schilf schimmerte eine große Wasserfläche: der Rederang!
Paddie rieb sich erstaunt die Augen, als er auf dem See ein kleines Boot treiben sah. Unermüdlich warf ein Fischer sein Netz aus und holte es mit weiten Armbewegungen wieder ein. Manchmal zappelte sogar etwas darin, was die Jungen aufgrund der großen Entfernung jedoch nicht genauer erkennen konnten.
»Von wegen Moorgeister«, atmete Bikus erleichtert aus.
Paddie und Rapak kicherten.
Ein vielstimmiges »Böhh« ließ sie in die entgegengesetzte Richtung blicken. Der unerwartete Anblick des einsamen Fischers hatte die Aufmerksamkeit der Freunde einen Moment abgelenkt, sodass ihnen die vielen Schafe völlig entgangen waren. Inmitten des saftigen Grüns der Feuchtwiese lagen oder standen gut drei Dutzend Schafe und gingen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie fraßen. Ein großer, zotteliger Hütehund sprang ihnen laut kläffend entgegen und blieb ein paar Schritte witternd vor ihnen stehen. Misstrauisch musterte er die drei Fremden und überlegte kurz, ob er sich freuen oder die Störenfriede lieber verjagen sollte.
Er entschied sich schließlich für das Letztere.
Laut knurrend bleckte er seine Lefzen und zeigte ein
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